Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)
verführerischsten Männer, die ihr je begegnet waren – hochgewachsen und schlank, mit schwarzen Augen, sonnengebräunter Haut und sinnlichen Lippen. Als Soldat bewegte er sich so stolz wie ein sagenhafter Ritter. Welche Frau würde sich nicht nach ihm umdrehen? Dessen war er sich sehr wohl bewusst, aber spielte er auch damit? Diese Frage hatte sich Louise schon oft gestellt, aber nie eine Antwort darauf gefunden. In ihrer Gegenwart benahm sich Charles de Bourbon, Duc de Montpensier, jedenfalls immer so, dass sie keine Zweifel an seiner Liebe bekam.
»Gönnen wir uns diese letzte Stunde«, flüsterte der junge Mann seiner Geliebten ins Ohr.
»Wartet Suzanne denn schon so sehnsüchtig auf ihren teuren Ritter?«, fragte Louise mit einem vielsagenden Lächeln.
»Also bitte, Louise! Ich weiß doch, dass Ihr es kaum noch erwarten könnt, Euren Sohn endlich wiederzusehen.«
Wieder lächelte sie sonderbar. Damit lag er irgendwo zwischen Ahnung und Gewissheit. Wenn es in ihrer Macht stünde, die Trennung von ihrem Geliebten hinauszuzögern, würde sie es tun? Sie wusste sehr gut, dass die Antwort nein lautete.
»Das ist kein Geheimnis, mein Lieber. Jeder weiß, wie sehr ich mich danach sehne, François wieder in die Arme zu schließen.«
Er zog sie an die Seite und drückte sie gegen eine Mauer, als er sie zum letzten Mal umarmte. Um sie herum ging das geschäftige Treiben weiter. Es schien so, als würde sie keiner beachten, aber Louise wusste, dass ein Dutzend Augenpaare auf sie gerichtet war.
Und wenn schon – Louise war frei und Suzanne de Bourbon viel zu weit weg, als dass sie etwas von dieser Zügellosigkeit erfahren hätte.
»Der König wird zunehmend älter und kränker«, murmelte sie, während er ihren Mund zu küssen versuchte. »Bald ist er ganz und gar auf seine getreuen Kampfgefährten angewiesen. Ihr müsst also auf Euch achtgeben.«
Mit zusammengekniffenen Augen sah er sie von der Seite an.
»Könnte es sein, dass Ihr mir nicht alles gesagt habt?«
»Nein.«
Er schob sie von sich und musterte sie eindringlich. Louise lächelte noch immer geheimnisvoll und nachdenklich, was seine Neugier reizte.
Sie hatte ihm wirklich nicht alles gesagt, und jetzt musste Charles ihr erst zuhören, ehe er sich auf den langen Rückweg ins Bourbonnais machen durfte.
Sie löste sich aus seiner Umarmung, weil sie ihm exakt in diesem Augenblick sagen musste, was sie von langer Hand vorbereitet hatte.
»Wenn du das nächste Mal nach Italien aufbrichst, wirst du an der Seite meines Sohnes reiten, Geliebter«, sagte sie und küsste Charles auf den Mund.
»Das dachte ich mir schon, weil François d’Angoulême bald alt genug sein wird, in den Krieg zu ziehen.«
»Was ich damit sagen will, ist, dass unser guter alter König sehr wahrscheinlich bald nicht mehr dazu in der Lage sein dürfte.«
Bourbon zuckte kaum merklich zusammen, aber Louise hatte viel zu sehr auf diesen Moment gewartet, als dass es ihr entgangen wäre.
»Wie kommt Ihr darauf, liebste Freundin?«
»Es ist einfach so, Charles. Ich weiß es. Anne bekommt keinen Sohn, und Louis wird nicht mehr lange leben. Er ist alt und krank. Er sagt selbst, dass es sein letzter Feldzug ist.«
Sie zögerte und studierte nun ihrerseits seine Miene. Er presste die Lippen zusammen, und seine Nasenflügel bebten.
»Worauf wollt Ihr eigentlich hinaus?«
Louise spürte, wie sie ein seltsamer Schauder durchfuhr, und fragte sich, was es war, das dieses neue Gefühl in ihr hervorrief, eine Mischung aus Macht, Freude, Ehrgeiz und Liebe.
»Ich will dir sagen, worauf ich hinauswill, Charles. Wenn mein François den Thron besteigt, nimmst du nach dem König den allerhöchsten Rang ein, du wirst dann Frankreichs Oberster Stallmeister.
Bourbon hatte es die Sprache verschlagen. Seine Lippen waren auf einmal ganz trocken. Er küsste ihren Hals. Es fühlte sich hart und kratzig an.
»Wir haben dieselben Ziele, geliebte Louise«, sagte er leise, aber diesmal stieß sie ihn ein wenig heftig von sich.
»Doch Vorsicht, Charles, falls der König beim nächsten Feldzug nicht dabei sein sollte, wirst du mit Georges d’Amboise aufbrechen, dem französischen Feldherrn. Es gefällt mir gar nicht, wenn du dich in seiner Nähe aufhältst. Gewiss, er ist ein Freund des Königs, aber auch von Anne. Und über die Königin kannst du es nicht zu Ruhm und Ehre bringen.«
Er antwortete ihr nicht.
»Julius II. ist auch nicht besser«, fuhr sie fort, »aber er hat immerhin den Vorteil, dass
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