Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)
entweicht«, sagte der kleine Mann ungerührt.
Fayrfax wischte sich hektisch den Schweiß von der Stirn und brüllte: »Wenn der Blasebalg geflickt wird, klingt es wenigstens nicht so grauenhaft falsch. Was sollen wir sonst machen? Wir sind verloren, verdammt noch mal, ich bin vernichtet!«
Außer sich vor Wut fuchtelte er mit den Armen herum.
»Zum Henker! Lasst sofort den Dorfsattler holen, er soll seinen Hintern herbewegen!«
»Wir brauchen aber einen Schmied«, entgegnete sein Gehilfe. »Die Leute vom Schloss haben gesagt, er kommt noch vor morgen früh.«
Der Organist und sein Orgelstimmer waren jedoch nicht die Einzigen, die im Schlosshof lautstark ihrem Ärger Luft machten. Alle waren nervös und beschimpften sich gegenseitig.
Auch die Mitglieder der Fraternity of St. Nicholas, Musiker, die König Ludwig XII. aus London hatte kommen lassen, waren äußerst gereizt, weil noch die Hälfte ihrer Truppe fehlte. Die Leute saßen irgendwo unterwegs fest; ein Wintersturm hatte Bäume umgestürzt und die Straße blockiert.
Selbst durch den Schlosshof fegten kalte Windböen, und der Nieselregen schien kein Ende nehmen zu wollen.
Louise stand geschützt unter den Arkaden und überwachte die Hochzeitsvorbereitungen. Sie wirkte als Einzige heiter und entspannt, kümmerte sich um jedes Problem und versuchte die Musiker zu beruhigen.
»Man hat bereits zwei Dutzend Ochsen losgeschickt, um die Straße freizuräumen«, erklärte sie den englischen Musikern. »Eure Leute müssten jeden Augenblick eintreffen.«
Auf dem Schloss ging es turbulent zu. Es sollte eine grandiose Hochzeitszeremonie werden. Schließlich wurde die Schwester des Thronerben mit Duc d’Alençon verheiratet, dem Vertreter eines der ältesten Adelsgeschlechter Frankreichs – das musste gebührend gefeiert werden.
Obwohl man den Blasebalg der Orgel mehr schlecht als recht repariert hatte, wollte sich Robert Fayrfax nicht beruhigen. John Sidborough und Thomas Watson, Chorsolisten von Westminster Abbey, waren noch immer nicht eingetroffen, und Fayrfax bekam kaum noch Luft vor lauter Schreien – dabei sprach er kein Französisch, weshalb ihn die Schlossbediensteten ohnehin nicht richtig verstehen konnten.
Mitten auf dem Hof veranstalteten die Musiker des Königs beim Proben ein unbeschreibliches Durcheinander, das nur noch von der Nervosität der Dienstboten übertroffen wurde, die ständig und von allen Seiten wegen irgendwelcher Kleinigkeiten beschimpft wurden.
Als Maître Pierre Mouton auf Blois eintraf, wurde er mit allen gebührenden Ehren empfangen. Der berühmte Organist von Notre-Dame in Paris hatte gerade ein Chorstück komponiert, das sich Königin Anne bereits allein angehört hatte. Doch auch wenn es ihr sehr gut gefallen hatte, musste es ja nun vor einem großen
Auditorium aufgeführt werden, und da würde es vermutlich an Kritik nicht mangeln.
Doch was für ein wunderbares Publikum für Maître Mouton! Eine Prinzenhochzeit!
Der Komponist, der als friedlicher und umgänglicher Mensch galt, musste sehr unsicher sein, wenn er so harsch mit seinen Musikern umsprang. Nicht einmal das Vertrauen, das ihm die Königin schenkte, vermochte ihn zu beruhigen.
In der Tat fanden manche Kritiker seine Musik etwas dick aufgetragen, doch seine Melodien, die selbst für Kenner ungewohnt und fremd waren, stießen allseits auf Zustimmung. Diese Komposition musste also eigentlich genau das Richtige für den französischen Hof sein, der schließlich ständig auf der Suche nach neuen Entwicklungen in der Kunst war.
Im Schloss, wo Marguerite letzte Anweisungen für ihre Garderobe traf, ging es nicht weniger lebhaft zu. Schneider und Stickerinnen, Spitzenklöpplerinnen, Hutmacher, Nadlermeister und all die anderen, die ihr Hochzeitskleid anfertigen mussten, beeilten sich, ihren Befehlen nachzukommen.
»Auf den Reifrock sind nicht genug Perlen gestickt«, beklagte sie sich, während ihre Mutter eine Falte zurechtrückte.
Der Oberschneider eilte herbei, kniete sich vor das Mädchen, prüfte den Reifrock und strich die Falte glatt, die Louise gerade hinzugefügt hatte.
»Die Vertugade wird oben ausreichend gefältet, dass der Rock in vielen schönen Falten fällt, Comtesse«, bemerkte er sachkundig.
»Er hat recht, Mutter. Ich möchte auch lieber weniger Falten an der Taille und dafür weitere Ärmel.«
Der Schneidermeister stand auf und machte sich an den Schultern zu schaffen. Dann rief er nach dem Nadler, der die Falten am Reifrock feststecken
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