Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)
Comtesse d’Angoulême. Auch diese Teppiche haben einen Millefleurs-Hintergrund.«
»Für die Comtesse d’Angoulême?«
»Genau, Herr Vogt. Wie jeder weiß, wurde ihr Sohn eben zum französischen Thronfolger ernannt. Ich habe also sehr schöne königliche Aufträge in Aussicht.«
»Wenn dieser junge Dauphin den Thron besteigt, wird sein Interesse Brüssel gehören.«
»Und warum nicht Florenz?«, entgegnete Alix.
»Ich strecke Euch jedenfalls das nötige Geld vor, das ist versprochen«, mischte sich Alessandro ein.
»Teppiche nach der Mode der italienischen Renaissance zu weben ist kein geringes Unterfangen. Ich glaube aber kaum, dass ausgerechnet einer Frau dieser große Wurf gelingen dürfte.«
»Immerhin habe ich auch die Signatur für Tours eingeführt. Seit ich das ›T‹ für die Stadt auf meinen Arbeiten anbringe, machen es alle Weber von Tours.«
Der Vogt war aber nun mal entschlossen, die Arbeit der jungen Frau schlechtzumachen, und fuhr fort:
»Ihr werdet es nicht weit bringen, meine Liebe, wenn Ihr immer nur Millefleurs webt.«
Diesmal hatte er Alix überrumpelt; es war ihm doch tatsächlich gelungen, sie zu verunsichern. Natürlich wusste sie, dass die Millefleurs nicht mehr sonderlich beliebt waren und wahrscheinlich schon bald als völlig veraltet gelten würden.
»Alix, mein Herz«, flüsterte ihr da plötzlich Alessandro zu, »erzählt
dem Vogt doch von den Jungfrauen des Vatikans . Das sind keine Millefleurs.«
»Richtig, die Zeichnungen für diese Teppiche habe ich aus Rom«, erläuterte Alix und sah den Vogt herausfordernd an. »Der Maler ist zwar nicht bekannt, aber ich zähle darauf.«
»Dieser kleine, ziemlich obskure Maler ist wirklich eine Nummer zu klein für Euch«, wandte der Bankier ein und stellte sich fürsorglich auf Alix’ Seite, um sie vor den Angriffen des Vogts zu schützen.
»Er ist ein Freund von Van Orley«, protestierte Alix, »und der ist im Vatikan sehr angesehen. Van Orley hat auch die Vorlagen für den Trojanischen Krieg gezeichnet.«
»Ja, ja, ich weiß schon, dass er sehr begabt ist, Alix. Aber ich will Euch mit den italienischen Malern bekannt machen – mit ihnen findet Ihr geradewegs in die Renaissance. Der französische Hof wird als Erster davon profitieren. Ihr dürft nicht vergessen, dass Louis XII. einer untergehenden Epoche angehört und Euer junger Monarch, wenn er den Thron besteigt, ein neues Zeitalter einläuten wird.«
»Das weiß ich wohl.«
Der Stadtvogt setzte eine zerstreute Miene auf und schwieg. Alessandro blieb beharrlich.
»Ich werde Euch den größten Malern vorstellen und freue mich jetzt schon darauf, Euch mit meinen Freunden Raffael und Michelangelo disputieren zu hören.«
Die Stimmung war gedrückt, bis der Vogt schließlich sein Schweigen brach und säuselte:
»Gibt es nicht genug bedeutende flämische Maler, die diese Ehre eher verdienen würden, mein lieber Van de Veere? Ich denke da zum Beispiel an unseren gemeinsamen Freund Jan van Roome, der meines Wissens gerade eine Etage höher seine Werke präsentiert.«
Domherr André übernahm die Aufgabe, Alix den Klauen des Vogts zu entreißen. Er kannte sie gut genug, um zu wissen, dass sie jederzeit zu einer heftigen Auseinandersetzung bereit war, die keinem etwas genützt hätte. Also nahm er sie am Arm und flüsterte ihr ins Ohr:
»Gehen wir diesen Jan van Roome mal suchen und lassen Euren Florentiner Bankier mit dem Vogt über seinen geplanten Seidenhandel diskutieren.«
Obwohl Alessandro ganz auf das Gespräch konzentriert war, ließ er Alix nicht aus den Augen. Als er sie mit dem Domherrn verschwinden sah, wirkte er einen Moment verärgert und legte die Stirn in Falten, setzte aber gleich wieder seine Unterhaltung fort, als wäre nichts gewesen.
Die Räume im Hause des Vogts von Dijon waren riesig, und überall zierten große Gemälde und Teppiche die Wände. Offensichtlich war dieser abscheuliche Frauenverächter ein großer Kunstliebhaber.
Nachdem Alix und André eine breite herrschaftliche Steintreppe mit einem schmiedeeisernen Geländer hinaufgegangen waren, kamen sie in die obere Etage, wo sich ebenfalls zahlreiche Gäste aufhielten. Alix entdeckte einen Wandteppich, der sie schon von Weitem sprachlos machte. Mit seinen majestätischen Ausmaßen beherrschte er den ganzen Raum, sodass man kaum den Blick von ihm wenden konnte.
»Wer hat diesen Teppich gewebt?«, fragte Alix laut.
»Ich.«
Alix drehte sich um, und André stellte ihr den jungen Mann vor, der
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