Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)
für die beiden nichts als Liebesglück
und Lebensfreude. Ein laues Lüftchen spielte mit den Blättern der hohen Weiden am Flussufer und wehte sie mir nichts, dir nichts ins Wasser. Alix tauchte ihre Hände hinein und schüttelte sie dann trocken, während sie einem Karpfen zusah, wie er über die Wellen sprang.
Das Gasthaus mit seiner Terrasse lag direkt an der Loire, die Oleanderbüsche standen in voller Blüte, und das Geißblatt duftete betörend. Der Wind trieb das kleine Boot vor sich her, aber etwas später ruderte Alessandro vom Ufer weg.
Ganz allmählich wurde es Abend, und die Landschaft wirkte auf einmal wehmütig – die Formen und die Farben, die herbstlichen Gerüche und die Blätter, die nach und nach von den Bäumen fielen, sobald ein Windhauch sie erfasste. Alles schien, als könnte nichts und niemand ihnen etwas anhaben.
»Ich glaube, der Zauber deines Val de Loire ist dabei, mich zu gewinnen, mein Herz.«
»Das wusste ich immer. Es gibt nichts Schöneres, Alessandro.«
Sie streckte sich aus und tauchte eine Hand ins kühle Wasser.
»Nichts?«, wiederholte er ungläubig.
»Nein, nichts!«
Ein Weilchen ließ er die Ruder ruhen und seinen Blick in die Ferne schweifen.
»Warte nur, wenn ich dir erst den Himmel über Florenz zeige, die blumenumrankten Villen, die Palazzi mit ihren bemalten Fassaden, die großen Terrassen mit Fliesen aus weißem Marmor und die Tausende von sonnendurchfluteten Düften, wirst du nicht mehr zurückwollen.«
»Soll das etwa heißen, dass dich das Val de Loire zwar bezaubert, du dich hier aber langweilst und nach Italien zurückkehren willst?«
»Nein, natürlich nicht, mein Herz.«
Alessandro nahm wieder die Ruder in die Hand und bewegte sie
in einem gemächlichen, aber beständigen Rhythmus, in dem sich das Boot immer weiter von dem Gasthaus entfernte. Schon war es nur noch ein winziger verlorener Punkt am Horizont, bis es schließlich ganz außer Sichtweite geriet. Sehnsüchtig betrachtete er die Reize seiner Geliebten, die wie hingegossen vor ihm in dem kleinen Boot lag. Als sich die Nussschale dann mitten im Fluss und versteckt hinter einem Wäldchen befand, das auf einer kleinen Sandbank stand, legte er die Ruder weg und ließ sich auch von dem sanften Schaukeln wiegen, mit dem das Flusswasser das Boot bewegte.
»Ganz bestimmt werde ich jetzt nicht nach Italien zurückkehren, mein Herz! Du weißt doch, dass ich noch nichts dergleichen plane und für einige Zeit hier in Tours bleiben will. Ich muss die Notabeln der Stadt treffen, und wenn wir übereinkommen, dürfte ich sogar länger als einen Monat bleiben.«
Alix streckte ihre Beine aus, und Alessandro streichelte sie liebevoll.
»Ich weiß, dass du die Notabeln und die Bankiers sehen willst. Aber du musst dich auch mit der Comtesse d’Angoulême treffen.«
»Will sie mich treffen, weil der französische Staatssäckel immer leerer wird? Dazu haben Eure beiden letzten Könige erheblich beigetragen, seit sie sich die Provinzen Neapel und Mailand einverleiben wollen.«
»Ich glaube nicht, dass sie dich deshalb sprechen möchte. Sie kommt nicht als Gesandte des Königs. Meines Wissens wünscht sie bei einem Florentiner Bankier ein privates Darlehen aufzunehmen. Bist du denn zu diesem Treffen bereit?«
»Aber ja, mein Herz.«
Alessandro nahm Alix in die Arme, drückte sie an sich und atmete genüsslich den Duft ihres schweren Parfums ein, das er ihr ein paar Tage zuvor geschenkt hatte. Ein Parfum aus Florenz!
Sie sah ihn mit ihren Samtaugen an und bot ihm ihre Lippen zum Kuss. Zuerst küsste er sie sehr behutsam und zärtlich, dann überkam ihn heftige Leidenschaft, und seine Küsse wurden immer wilder und drängender. Ihr Körper war noch warm von der Abendsonne und begann zu beben. Alessandro spürte, dass sie bereit war, sich ihm auf dem wogenden Fluss hinzugeben.
»Sollten wir nicht lieber warten, bis wir wieder im Gasthaus und auf unserem Zimmer sind, Alessandro?«, flüsterte Alix. »Da haben wir es so bequem.«
Zärtlich berührte er den kleinen festen Busen, den er aus seiner purpurroten Samthülle befreit hatte. Die Farben ihres Kleids erinnerten an Abendrot, an einen Himmel gerade wie an diesem Abend – rötliche Streifen, die am Horizont mit fahlroten Goldschlieren verschmolzen. Hin und wieder unterstrich ein Vogelschwarm die Transparenz, wenn er sie mit spitzen Schreien durchbohrte.
»Um dir zu beweisen, dass du dich irrst, mein Herz, und dass ich länger hierbleiben will als du
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