Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)
schönen blauen Augen an.
»Ich will gleich zur Sache kommen, Sire Van de Veere. Meine Ausgaben sind immens, aber der König gewährt mir nur einige Subsidien, die hinten und vorn nicht reichen. Weil die Königin keinen Dauphin zur Welt bringen kann, fügt sie sich notgedrungen der königlichen Rangfolge. Vermutlich wird mein Sohn bald den Thron besteigen. Deshalb ist es mir jetzt schlichtweg unmöglich, weiter als die arme Verwandte aufzutreten, deren Inbegriff ich von meiner Geburt bis zu meiner Witwenschaft war. Das Haus Savoyen, aus dem ich stamme, war genauso arm wie das Haus d’Angoulême, in das ich eingeheiratet habe. Mein väterliches Erbe haben sich die Beaujeu einverleibt.«
Alessandro nickte nur verständnisvoll, ohne sie jedoch zu unterbrechen, und Louise kam so richtig in Fahrt und fuhr fort:
»Ich habe zwei Wohnsitze, die ich innen und außen vollkommen neu gestalten lassen muss. Einer ist Schloss Romorantin, das mir der König freundlicherweise geschenkt hat, als er mich mit meinen Kindern ins Val de Loire kommen ließ. Der andere ist die
Residenz der Familie d’Angoulême. Das Schloss der Vorfahren des zukünftigen Königs von Frankreich – also meines Sohnes François – muss ganz neu aufgebaut werden, weil es seit mehr als dreißig Jahren verfällt. Die Herzöge aus dem Hause Angoulême waren lange vom Königreich ausgeschlossen, weshalb es ihnen an den nötigen Mitteln fehlte, den Stammsitz der Familie in Cognac zu renovieren.«
Während Alix zuhörte und Marika Getränke und kleine Leckereien reichte, ergriff nun Jacques de Beaune das Wort:
»Ich kann Euch ausreichend Kredit gewähren, meine liebe Louise, wenn mich Sire Van de Veere mit Golddukaten stützt. Ich habe Euch versprochen, für Euren Sohn ein unbegrenztes Konto zu eröffnen, und ich werde mein Versprechen auch halten.«
»Wie sieht es mit der Rückzahlung aus?«
»Das hat Zeit bis später, wenn François d’Angoulême den Thron bestiegen hat.«
»Wenn er König von Frankreich ist, braucht er erst recht einen gut gefüllten Koffer«, fuhr die Gräfin an den Bankier gewandt fort, »und der ist leider zurzeit absolut leer. Damit komme ich auch schon zu meinem dritten Anliegen.«
Bei diesen Worten erhob sich Catherine Briçonnet, ging mit ausgestreckten Armen auf Alix zu und sagte:
»Ich glaube, Louises Privatangelegenheiten gehen uns nichts an, Dame Alix. Was haltet Ihr davon, wenn wir ein wenig frische Luft schnappen? Der Garten macht einen sehr einladenden Eindruck. Wir kommen wieder, wenn mein Onkel und die Comtesse mit Eurem Freund fertig sind.«
»Bis gleich, mein Herz«, sagte der Bankier leise und nahm Alix’ Hand, um ihr zu zeigen, wie lieb und teuer sie ihm war. Mit seinen Lippen berührte er die zarte Hand, die sie ihm bot, dann drückte er seinen Mund auf die Innenfläche ihrer Hand. Möglich, dass er
das ganz bewusst tat. Louise wusste jetzt jedenfalls, woran sie war. Ihre Freundin Alix war tatsächlich immer für eine Überraschung gut, und auch dieser Alessandro hatte sie verblüfft. Das lag wohl an seinem geheimnisvollen Wesen, seinem Ansehen und dem italienischen Charme.
Louise konnte nicht umhin, sich an ihre eigenen Amouren mit dem jungen Duc de Bourbon zu erinnern und an die Momente der Leidenschaft, die sie Arm in Arm am Ufer der Loire geteilt hatten, wenn die Nacht hereinbrach. Charles hatte ihr versprochen wiederzukommen, und Louise hatte das Versprechen angenommen und mit einem langen, liebevollen Kuss besiegelt. Doch all das war im Verborgenen geschehen, fernab von den neugierigen Blicken der Dienstboten, die immer auf der Jagd nach einem Gerücht waren – und vor allem nicht in Blickweite ihrer Kinder. Louise konnte es sich nicht erlauben, den Nimbus des zukünftigen Herrschers über Frankreich zu beflecken.
Alessandro aber durfte sehr wohl unter den erstaunten Blicken der Anwesenden seine sinnlichen Lippen auf die wohlgeformten Finger von Alix drücken. Nichts würde das lautere Bild stören, das man von Alix hatte, weil sie Witwe war und weder Sire de Beaune noch Dame Bohier etwas dagegen einzuwenden hatten.
Einen Augenblick lang beobachtete sie den Bankier. Er war wirklich ganz der Florentiner Prinz. Entstammte er nicht auch einer der alten Gonfaloniere-Familien des vergangenen Jahrhunderts, diesen Justizbeamten, die in Florenz das gesamte öffentliche Wesen geregelt und die Handelshoheit beaufsichtigt hatten? In einem ihrer häufigen Gespräche mit dem König, der sich nämlich sehr
Weitere Kostenlose Bücher