Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)
habe zwei Söhne zur Welt gebracht. Der eine starb mit wenigen Wochen, der andere direkt nach der Geburt. Das war kurz nach dem Tod meines Mannes, während der letzten Pest. Und wie ist es mit Euch, Catherine, habt Ihr Kinder?«
»Ach, ich habe bei der letzten Pest meine Mutter und meine Tochter verloren. Zum Glück haben wir aber noch einen achtzehnjährigen Sohn. Er heißt Antoine und möchte Priester werden. Ich glaube, wir machen einen Bischof aus ihm.«
Mit einem Seufzer fuhr sie fort:
»Man darf nicht zu sehr an den Erinnerungen hängen, gleichgültig ob sie gut oder schlecht sind. Nur wenn sie uns Erfahrung gebracht haben, sollten wir sie nicht vergessen, um alte Fehler in Zukunft zu vermeiden.«
»Da bin ich ganz Eurer Meinung, Catherine. Die Vergangenheit ist nur dazu da, einen vorwärtszubringen.«
Dame Bohier nickte zustimmend.
»Erzählt mir doch bitte ein wenig von Eurem Beruf. Eure Werkstätten sind in Tours, hat man mir gesagt.«
»Ja, und mit Unterstützung von Sire Van de Veere will ich schon
bald ein Kontor eröffnen, das ausschließlich für Rom und Florenz arbeiten soll.«
Ein breites Lächeln überzog Catherines Gesicht. Ihr Mund war groß und dick wie ihre ganze Gestalt. Nichts an Catherine Briçonnet war dünn oder sparsam, vielleicht mit Ausnahme ihres Zutrauens in andere Menschen, das sie nur selten gewährte.
»Wie Ihr nach Florenz kommt, verstehe ich ja, aber nach Rom?«
»Ich habe einen Onkel, der Kardinal im Vatikan ist.«
»Einen Onkel im Vatikan! Verdammt!«, entfuhr es der erstaunten Catherine. »Davon hat mir Louise nichts erzählt.«
»Sie kennt ihn kaum. Er ist ein angeheirateter Onkel.«
»Aus der Familie Eures verstorbenen Mannes?«
»Ja, er ist der Enkel eines Webers aus Brügge, der in zweiter Ehe mit der Mutter von Jean de Villiers verheiratet war.«
Catherine runzelte die Stirn und überlegte halblaut:
»De Villiers, de Villiers … Mein Vater kannte einen de Villiers aus Villandry.«
»Seine Mutter stammte aus dem Val de Loire. Aber väterlicherseits ist Kardinal de Villiers türkischer Abstammung.«
»Er ist Türke!«
Es war bestimmt nicht einfach, diese Geschäftsfrau zu beeindrucken, aber seit einer Weile überraschte Alix sie ständig aufs Neue.
»Er ist Halbtürke! Wie denn das?« Catherine ließ nicht locker.
Alix musste lächeln. Sie wollte es ihr erzählen, weil sie gern von Jean sprach. Es würde Stunden dauern – aber schließlich hatten sie ja Zeit –, bis sie die ganze Geschichte berichtet hätte, die Catherine Briçonnet offensichtlich sehr zu interessieren schien.
6.
Nach Souveraines Hochzeit überfiel Louise wieder die Angst. Doch während sie jeden Tag sorgenvoll in ihr Tagebuch schrieb, verstrich die Zeit mit den fröhlichen Ideen einer gut gelaunten Schar von jungen Leuten, die unter der energischen Führung des kühnen François durch dick und dünn ging.
Als dann aber Königin Anne ihre zweite Tochter zur Welt brachte, die sie Renée nannte, und sich die Sorgen und Ängste von Louise wieder einmal in Luft auflösten, entpuppte sich Marguerite zu einer wunderschönen jungen Prinzessin, die dem gesamten Hof den Kopf zu verdrehen drohte, weil sie sämtliche Kriterien erfüllte, die man damals an Schönheit stellte.
Sie war groß und graziös und besaß, obwohl sie wie ihr Bruder François die ziemlich dicke Nase der Valois geerbt hatte, genug gute Manieren und Esprit, um jeden schönen Edelmann ihres Standes zu verführen. Ihre hellgrauen Augen funkelten in einem makellos weißen, seidigen Gesicht, das von blonden Locken umrahmt wurde. Ihre Haare hatten genau den rotblonden Ton, bei dem man an Herbstlaub denkt und der damals, aus Italien kommend, große Mode war. Sie hatte zwei freche Grübchen, und wenn sie lachte, was ziemlich häufig vorkam, weil Marguerite ein fröhliches Naturell besaß, öffneten sich ihre Lippen, und man konnte ihre schönen weißen Zähne sehen.
Natürlich sonnte sich der Hof von Amboise in ihrem Glanz, und verständlicherweise verlangte man immer öfter nach ihr, als die Feierlichkeiten auf dem Schloss ihren Höhepunkt erreichten.
So brillierte das junge Mädchen am Hof der Comtesse d’Angoulême wie eine weißgoldene Margerite, die anmutig ihren langen Stängel mit seinen makellos weißen Blütenblättern in der Sonne balanciert.
Während die Tochter von Louise zu ihrer ganzen Schönheit erblühte, entwickelte sich ihr Sohn François ebenfalls zu einem vielversprechenden jungen Herrn voller
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