Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)
Stickerin kommen und suchen zusammen neue Kleider für Euch aus.«
Marguerites gute Laune wirkte ansteckend, und jetzt musste auch Madame de Chatillon lachen.
»So wollt Ihr mir also zeigen, wer von uns beiden das Sagen hat! Wer ist denn die Lehrerin, Marguerite? Ich habe geglaubt, Eure Mutter hätte mich mit der nötigen Autorität ausgestattet.«
»Seid Ihr mir erlaubt habt, Euch Blanche zu nennen und nicht Madame de Chatillon, spüre ich, dass ich Euch anleiten kann.«
»Ihr wollt mich anleiten!«, rief Blanche überrascht.
»Aber ja doch! Seit dem Tod von Baron de Chatillon seid Ihr völlig verloren.«
»Könnte es sein, dass Ihr da die Rollen vertauscht, Marguerite?«
»Vielleicht. Aber Ihr müsst zugeben, dass das nicht immer unangenehm ist.«
Dann brach sie in lautes Gelächter aus, stürzte sich unter dem fröhlichen Gekläff von Prunelle auf Blanche und riss ihr die dunkle Samthaube vom Kopf, sodass ihr das lange schwarze Haar in dichten Locken über die Schultern fiel.
»Wir fragen Catherine, ob sie Euch Euer Haar mit einem schönen Perlenkamm hochstecken kann. Diese Frisur würde Eure blauen Augen besonders gut zur Geltung bringen. So werdet Ihr allen Herren am Hofe den Kopf verdrehen!«
Blanche griff hastig nach ihrer Haube, und das Lächeln war aus ihrem Gesicht verschwunden, aber nicht etwa, weil sie verärgert gewesen wäre.
»Es ist meine Aufgabe, Marguerite, Euch zu lehren, wie Ihr euch in Gegenwart dieser jungen Herren zu benehmen habt, von denen einer verwegener ist als der andere, aber ich habe nicht die Absicht, sie selbst zu verführen. Im Übrigen bin ich dafür zu alt.«
»Wie könnt Ihr so etwas sagen! Ihr seid zwanzig, und ich bin sechzehn! Vier Jahre Altersunterschied spielen doch keine Rolle.«
»Oh doch, vier Jahre können die Summe eines ganzen Lebens bedeuten«, sagte Madame de Chatillon, diesmal in einem strengen Ton, der sich jede Alberei verbat, und setzte ihre Haube wieder auf.
»Ich habe viele Momente erlebt, die Ihr nicht kennt und deshalb nicht verstehen könnt, Marguerite«, begann sie wieder. »Köstliche Momente, die ich zur Gänze mit einem Mann verbrachte, die ich an der Seite eines Gatten genoss, den ich sehr geliebt habe.«
Prunelle sprang Marguerite auf den Schoß, aber die setzte das Hündchen gleich wieder auf den Boden, um Blanche aufmerksam zuzuhören.
»Und ich soll Euch den Wert dieser Augenblicke nahebringen«, fuhr Blanche beinahe gereizt fort. »Das ist Eurer Mutter überaus wichtig.«
»Aber Ihr wisst doch auch, Blanche, dass meine Mutter immer für jede Kritik zugänglich ist«, entgegnete Marguerite.
»Ja, das stimmt, aber ihre Prinzipien sind über jede Kritik erhaben – und Ihr habt sie zu respektieren.«
Marguerite seufzte. Schließlich kannte sie die Philosophie ihrer Mutter nur zu gut, von der sie außerdem kein Jota abwich.
Louise hatte nur ein einziges Ziel für ihre Kinder. Sie sollten niemals kleinmütig sein oder stur an lieb gewordenen Ideen festhalten wie Königin Anne, sondern immer nur das tun, wozu sie geboren waren – und zwar so gut es ging.
Seit de Gié nicht mehr da war, hatte sich einiges verändert. Ihr Verhältnis zu François’ Lehrern, dem Abbé Saint-Mesmin und Rittmeister Artus de Gouffier, schien sehr herzlich zu sein. Sie standen in ihrer Gunst und waren sich dessen bewusst.
Wenn sich Louise ausnahmsweise einmal Entspannung gönnte und von der Schlossterrasse auf die Loire blickte, die träge zwischen den goldenen Sandbänken dahinfloss, träumte sie von den Liebesbeteuerungen von Charles de Montpensier. Wandte sie dann den Blick von dem glatten, grauen Fluss ab und hin zu den bläulichen Türmchen von Amboise, vergaß sie plötzlich, dass sie sich jeden Gedanken an Liebe aus dem Kopf schlagen und sich mit harmlosen Vergnügungen begnügen musste, wenn sie ihre ehrgeizigen Ziele erreichen wollte.
François war dabei, ein vollendeter Ritter zu werden. Im Laufe der vielen Wettkämpfe und Reiterspiele, die er mit unvermindertem Eifer betrieb, war er sehr muskulös geworden. Seine Gefährten waren natürlich genau wie er, jung und mutig, und Marguerites zärtliche Gefühle schwankten lange zwischen dem Tapferen und dem Romantischen, bis sie sich für den hitzköpfigen Duc de Nemours entschied.
Denn seit sich der junge und glanzvolle General in der Touraine aufhielt und Schloss um Schloss seine Aufwartung machte, hatte sie nur noch Augen für seine stattliche Erscheinung und seine raffinierte
Galanterie.
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