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Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)

Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)

Titel: Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jocelyne Godard
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Aber einmal abgesehen von den Freunden ihres Bruders, die ihr Gesellschaft leisteten – durfte sie sich überhaupt aussuchen, für wen das Blut in ihren Adern in Wallungen geriet?
    Bald war sie eine erwachsene Frau, und sie wusste, dass man sie eines Tages verheiraten würde wie alle Prinzessinnen in ihrem Alter und ohne sie nach ihrer Meinung zu fragen. Die Politik verlangte bestimmte Verbindungen, wofür sie Verständnis haben musste. Dennoch graute ihr bei der Vorstellung, man könnte ihr einen Mann aufzwingen, der ihr nicht gefiel oder der überhaupt nicht ihren Neigungen und Vorlieben entsprach. Als Louis XII. erst den Prince of Wales und dann den Duke of York ins Gespräch gebracht hatte, wurde sie zum Glück von Seiten der Engländer abgelehnt, weil ihnen das Haus Angoulême nicht mächtig und nicht reich genug war.
    Wegen der Beleidigung seiner Familie und der Missachtung seiner Schwester wäre François vor Zorn explodiert, hätte ihn Marguerite nicht mit der Bemerkung beruhigt, sie hätte ohnehin keinerlei Lust, auf der anderen Seite des Meers zu leben. Louise teilte die Meinung ihrer Tochter, und die beiden Vorschläge wurden schnell ad acta gelegt.
    Dann dachte man an den Herzog von Kalabrien, doch zu Marguerites großer Erleichterung verwarf man auch diesen Vorschlag bald wieder.
    Aber der König war nicht aufzuhalten, und ein Angebot nach dem anderen trudelte ein. Doch solange es kein Ultimatum gab, ließ Marguerite ihren Gefühlen freien Lauf. Bisher war jedenfalls noch keine Entscheidung über ihr Schicksal gefallen.
    Obwohl sie dem König mutig ihre Meinung gesagt hatte, wurde die Suche nach einem geeigneten Gatten jenseits der Meere und in den Nachbarländern fortgesetzt.
    Dabei war Marguerites Argument nicht von der Hand zu weisen,
und ihre Mutter kannte den Satz, den ihre Tochter dem König stolz ins Gesicht gesagt hatte, noch heute auswendig: ›Es ist nicht so, dass ich wegen meiner guten Sprachkenntnisse einen Gatten aus dem Ausland ablehnen oder akzeptieren würde, Sire, sondern weil es mir unangenehm wäre, mein Heimatland verlassen zu müssen. Bietet mir eine französische Partie an, denn ich kann meinem Volk viel besser dienen, wenn ich in der Nähe dessen bleibe, der eines Tages König von Frankreich wird.‹
    Plötzlich begann Prunelle zu kläffen und sprang wie verrückt an dem geschlossenen Fenster hoch.
    »Ich glaube, sie hat Olympe gewittert«, rief Marguerite und lief ebenfalls ans Fenster.
    Sie riss das Fenster auf und streckte ihren Kopf hinaus.
    »Seht nur, Blanche! Ich habe es doch gewusst!«
    »Was habt Ihr gewusst, Marguerite?«
    »Dass er kommen und sich mit François unter meinem Fenster schlagen wird.«
    Madame de Chatillon kam näher und sah den jungen Herzog von Nemours, der gerade in ihre Richtung blickte.
    »Euer Bruder hat ihn dorthin gebracht«, entgegnete Madame de Chatillon.
    »Wie auch immer, Blanche. Er ist da!«
    Der Windhund Olympe, den Prunelle gewittert hatte, saß in einigem Abstand mit gespitzten Ohren auf seinem Hinterteil und beobachtete, wie die beiden jungen Männer geschickt die Schwerter kreuzten.
    »Dort oben ist das Zimmer meiner Schwester. Wusstet Ihr das, Gaston?«, fragte François und ging zum Angriff über.
    Sein Gegner wich ihm geschickt aus.
    »Nein, aber ich dachte es mir. Deshalb habe ich eben auch zu ihrem Fenster gesehen.«
    »Da seid Ihr im Vorteil, Gaston, weil ich mit dem Rücken zum Fenster stehe. Könnt Ihr sie sehen?«
    Der Duc de Nemours parierte einen besonders gefährlichen Hieb von François und wich einen Schritt zurück.
    »Teufel noch eins – Ihr seid wirklich ein famoser Fechter! Ich sehe Eure Schwester. Neben ihr steht noch eine andere Frau.«
    »Das ist ihre Gouvernante, Madame de Chatillon. Und, findet Ihr Marguerite hübsch?«
    »Ob ich sie hübsch finde? Eure Schwester ist himmlisch!«
    Ein Ausweichmanöver von Gaston führte zu einer kurzen Unterbrechung, doch François setzte gleich zu einem besonders schönen Angriff an.
    »Ich möchte, dass Ihr mir Euren berühmten Hieb zeigt«, bat der Herzog von Angoulême.
    »Erst wenn Ihr mir versprecht, dass ich Eure Schwester sehen kann.«
    »Ihr wollt mit ihr sprechen?«
    »Arrangiert mir ein Rendez-vous mit ihr, dann bringe ich Euch meinen berühmten Hieb bei.«
    François ließ seinen Degen tanzen, geschmeidig hielt seine Hand den Knauf, die Spitze bog sich in der Luft. Der Duc de Nemours beugte das rechte Knie, streckte das linke Bein und parierte.
    »Soll das ein Handel

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