Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)
werden?«, fragte François, ohne die Spitze des gegnerischen Degens aus den Augen zu lassen.
»Großer Gott, nein, natürlich nicht! Eure Schwester ist doch nicht zu verkaufen«, erwiderte Nemours.
»Da habt Ihr allerdings recht. Nicht für alle Fechtkünste der Welt würde ich meine Schwester opfern.«
»Was nun?«
Der Herzog von Nemours bekam nur lautes Gelächter zur Antwort, und die Degen führten einen erbarmungslosen Kampf.
»Es ist ein ungleicher Handel. Seitdem Marguerite bei dem Turnier auf Euch gesetzt hat, hat sie nur noch Augen für Euch.«
Der Duc de Nemours war acht Jahre älter als François und verfügte deshalb über mehr Erfahrung. Nach wenigen Minuten hatte er gewonnen.
»Eure Angriffe sind beachtlich, François. Wenn Ihr erst zwei oder drei richtige Kämpfe hinter Euch habt, werdet Ihr einer der besten Fechter sein.«
Der Duc d’Angoulême antwortete nicht. Er drehte sich zum Fenster um und sah seine Schwester, die graziöse Handbewegungen machte.
»Eure Schwester ist göttlich, und ich bin außer mir, dass ich ihren Gruß nicht erwidern darf.«
»Das ist kein Gruß, sie will Euch damit zeigen, dass Ihr willkommen seid.«
»Dann bin ich erst recht außer mir!«
»Euer Taschentuch, Gaston! Schnell, Euer Taschentuch!«
Überrascht warf Gaston noch einen Blick auf Marguerite, ehe er sein Batisttaschentuch aus der Innentasche seines Wamses holte.
»Spießt es schnell mit Eurem Degen auf, ehe meine Schwester weggeht!«
Der Herzog hielt sich nicht mit langen Fragen auf, sondern durchbohrte mit der Degenspitze das dünne weiße Taschentuch.
»Hebt es jetzt hoch und winkt damit in Marguerites Richtung. Es ist ein Spiel, das wir als Kinder sehr geliebt haben. Darin übertraf Montmorency alle, wenn er ihr seine Bewunderung zeigen wollte.«
Nemours war sehr stattlich. Dunkle Haare umrahmten sein schönes Gesicht, und sein offenes, ehrliches Lächeln ermunterte stets zu einem Gespräch.
Als Marguerite sah, dass Nemours ein weißes Taschentuch auf
seinen Degen gespießt hatte und damit in ihre Richtung winkte, verstand sie sofort, was ihr Bruder im Schilde führte.
Sie zögerte kurz, aber ehe sie auf Nemours Frage antworten konnte, nahmen die beiden Edelmänner hinter ihr flüchtig die Silhouette einer Frau wahr, die sie vom Fenster wegzog.
»Was soll’s«, rief François vergnügt. »Meine Schwester hat die Botschaft verstanden.«
»Und wie lautet die Botschaft, wenn ich fragen darf?«
»Das werdet Ihr noch früh genug erfahren. Wenn Ihr einverstanden seid, würde ich jetzt gern weiterfechten.«
Sie gingen wieder in Position, ein Knie gebeugt, den Arm mit dem Degen nach vorn gestreckt, und belauerten sich mit Blicken, aber Gaston war wieder schneller.
Geschickt wich François dem Hieb aus. Die Klinge streifte seine Schulter, schlitzte sein Wams auf und schnellte zurück.
»Teufel noch eins! War das etwa Euer berühmter Meisterhieb?«, keuchte François. »Wollt Ihr ihn mir endlich beibringen?«
Er parierte und sagte etwas ruhiger:
»Ich möchte Euch einen anständigeren Handel vorschlagen. Ihr behaltet das Geheimnis Eures Erfolgs für Euch und verratet mir dafür eine Kleinigkeit, die mich sehr interessiert.«
»Zum Henker, François! Jetzt habe ich kein Taschentuch mehr, um mir den Schweiß von der Stirn zu wischen. Was möchtet Ihr denn von mir wissen?«
»Ihr kommt aus Blois, wo Ihr den König begrüßt habt. Und Ihr macht Halt in Amboise, um mich besser kennenzulernen.«
»Worauf wollt Ihr hinaus?«
Gaston trat einen Schritt zurück, den Degen gezückt. François attackierte.
»Habt Ihr auch den Hofstaat der Königin gesehen?«
»Allerdings! Alle ihre Hofdamen waren versammelt.«
Als der Herzog von Nemours wieder in Position ging, machte François einen Schritt nach vorn.
»Gehört Eure Cousine, die schöne Françoise de Foix, noch zu ihrem Gefolge?«
Jetzt endlich wurde der Eifer des Comte d’Angoulême belohnt, und er landete einen Treffer. Er traf ihn in die rechte Flanke und tändelte etwas, ehe er die Degenspitze zurückzog. François jubelte buchstäblich, sprang herum wie ein junger Ziegenbock und ließ seiner Freude freien Lauf.
»Ihr dürft euch wegen eines Treffers nie zu solchem Freudentaumel hinreißen lassen, Comte d’Angoulême. Sonst geht Eure ganze Konzentration verloren, und Ihr könnt den nächsten Hieb nicht parieren.«
François befolgte seinen Rat auf der Stelle. Gaston hielt seinen Degen mit der Spitze nach unten und wischte sich mit dem
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