Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)
jung, hübsch und klug sein soll. Was kümmert es da den Greis, wenn ich keine Zuneigung für ihn empfinde?«
Blanche ließ Marguerites Hand wieder los.
»Er ist ein Ehrenmann und besitzt viel Anstand und Gefühl«, widersprach sie ein wenig verärgert.
Mit großen Schritten lief Marguerite aufgeregt in ihrem Zimmer auf und ab. So aufgebracht kannte Prunelle ihre Herrin gar nicht und versteckte sich hinter dem großen Bett, hinter dem sie erst wieder vorkommen wollte, wenn sich Marguerite beruhigt hatte.
»Das ist doch ganz ausgeschlossen!«, rief Marguerite, weil ihr plötzlich eine Eingebung gekommen war. »Heinrich VII. ist ein Tudor, und er hat Richard IV. besiegt, den Usurpator, der seine Neffen ermorden ließ und …«
»Ihr habt da kein Mitspracherecht«, schnitt ihr Blanche das Wort ab. »Das wisst Ihr sehr wohl, Marguerite.«
»Ja, ich weiß. Aber ich weiß auch, dass meine Mutter nicht will, dass ich ins Ausland heirate. Eine Verbindung, die mich so weit weg von Frankreich bringt, würde sie nie dulden. Außerdem ist England von unseren Plänen ausgeschlossen.«
»Mag sein, dass Ihr recht habt«, gab Blanche mit einem Seufzer auf.
»Mutter hat mir versprochen, dass ich nicht über den Ozean muss. François wäre in jedem Fall dagegen.«
»Schon gut, Marguerite, so beruhigt Euch doch wieder! Seid vernünftig und denkt jetzt nicht an das Schicksal, das Euch bestimmt ist. Der Tag kommt noch früh genug, an dem Ihr den Namen erfahrt – und dann ist es nicht mehr zu ändern.«
7.
Gaston de Foix, Duc de Nemours, hielt seinen Freund am Arm fest und sagte:
»Wann erfahre ich endlich, was die Botschaft bedeutet, die ich Eurer Schwester Marguerite senden sollte, François? Ich finde, ich habe ein Recht darauf.«
Weil ihn der junge François nur verschmitzt ansah, fuhr er fort: »Immerhin war ich es, der Marguerite mit dem Taschentuch am Degen zugewunken hat. Ich glaube, sie hat mich gesehen!«
»Ganz gewiss, mein lieber Gaston. Sie hatte ein Auge auf Euch – aber auch auf mich. Marguerite befürchtete wohl, Ihr könntet mich verletzen.«
Gaston ließ seinen Freund nicht los.
»Ich will jetzt wissen, was die Botschaft bedeutet. Ich lasse Euch nicht in Ruhe, bis Ihr es mir verraten habt.«
»Ihr werdet es gleich erfahren, Gaston. Sofort.«
Obwohl der Herzog von Nemours seinen Freund noch immer festhielt, ließ sich der nicht aufhalten. Als sie zu den Stallungen kamen, stieß François die Tür zu den Pferdeboxen auf, und Gaston sah den blonden Kopf eines jungen Mädchens hinter einer schönen grauen Stute auftauchen. Sie schien sich suchend umzusehen, und als sie dann Gaston entdeckte, richtete sie sich ganz auf.
»Marguerite!«, rief er, und seine Augen strahlten vor Freude.
Marguerite verließ ihren Beobachtungsposten und kam mit ausgestreckten Armen auf ihn zu.
»Guten Tag, Seigneur de Foix! Bei dem Lanzenstechen zum Abschluss der Hochzeitsfeier von Souveraine habe ich auf Euch gesetzt. Leider war es mir nicht erlaubt …«
»Es war uns erlaubt, dass sich unsere Blicke kreuzten«, unterbrach sie Gaston und lächelte Marguerite an.
Er nahm ihre Hände, drückte sie und sah wie gebannt in ihre himmelblauen Porzellanaugen.
»Und nun halten wir uns an der Hand, was noch viel schöner ist! Ihr müsst wissen, dass mich Euer Blick Tag und Nacht verfolgt, seit ich Euch bei dem Wettkampf gesehen habe.«
»Ist das wahr?«
»Glaubt Ihr mir etwa nicht?«
»Oh doch, Gaston, ich will Euch gern glauben!«
Obwohl der Herzog von Nemours noch sehr jung war – gerade mal acht Jahre älter als François –, war er doch schon ein erwachsener Mann und errötete nicht, als ihn Marguerite bei seinem Vornamen nannte.
»Ich liebe Eure Augen, Marguerite. Sie erinnern mich an einen flammenden Sommerhimmel über den Bergen.«
»Den Bergen?«
»Ja, meine Wiege stand in den Ostpyrenäen.«
»Oh, wirklich?«
Dann warf sie sich ihrem Bruder an die Brust, der sich zu ihnen gesellt hatte, und rief ungestüm:
»Ach, François, ich bin so froh, dass du unsere alten Spiele nicht vergessen und mir wie früher eine Botschaft geschickt hast!«
»Wie darf ich das verstehen?«, fragte Gaston dazwischen.
François schien über die Abwechslung sehr angetan und übernahm die Erklärung.
»Das ist eine alte Tradition zwischen Marguerite und mir. Immer wenn ich mit meinen Kameraden im Schlosshof den Schwertkampf
übte und sie uns aus dem Fenster zusah, durfte sie derjenige, der ihr mit einem Taschentuch am Schwert
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