Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)
Ihr mir glauben.«
Er führte eine Hand von Louise an den Mund und berührte sie sanft mit den Lippen. Seine Augen funkelten begierig. Etwas fester drückte er seinen Mund auf die zierlichen Finger von Louise. Wenn sie sich nur ein wenig gehen ließe, fände sie sich in den
Armen des Königs wieder. Hielt er es für angebracht, die Comtesse auf diese Weise für die Worte zu trösten, die folgen sollten?
Sie schob ihn von sich und ahnte schon, was er gleich sagen würde. Ein gutes Wort kommt nie ohne ein schlechtes, wusste Louise, weil sie in kluger Ausgeglichenheit lebte.
»Ihr habt Euch persönlich für die gute Erziehung des jungen François eingesetzt, und dafür bin ich Euch dankbar. Nun ist es aber an der Zeit, dass Euer Sohn sich von Euch löst. Ich nehme ihn Euch weg.«
Louise fuhr erschrocken zusammen. Dem Blick des Königs wich sie nicht aus, entzog ihm aber unsanft ihre Hand. Ihr Gesicht überzog plötzlich diese Blässe, die so gut zu ihren jadegrün funkelnden, jetzt auf einmal gekränkt blickenden Augen passte.
»Ihr nehmt mir meinen Sohn weg?«, stammelte sie.
»Ich bringe ihn an den Hof nach Blois. Dort soll er von nun an auf seinen Beruf als König vorbereitet werden.«
Warum gab Louise in diesem Moment nicht einfach ihrer Erregung nach? Diese Offenbarung, die ihre schon so lang gehegten Wünsche heiligte, versetzte sie in Trance und nahm ihr die Stimme. Es war vollbracht.
Doch wie konnte sie auch nur einen Augenblick daran zweifeln, dass es zu etwas anderem als Schwierigkeiten und Verwirrung führen würde, wenn sie sich auf die Avancen des Königs einließ, während ihr doch auf einmal sämtliche Möglichkeiten offenstanden?
Sie wollte etwas sagen, brachte aber kein Wort über die Lippen. Der Gedanke, ihren Sohn nur noch sehr selten zu sehen, machte sie unglücklich.
Sie versuchte sich zu beruhigen, rief sich in Erinnerung, dass sie seit langem darauf vorbereitet war.
»Sobald mich die Ärzte auf Vordermann gebracht haben, mache
ich mich wieder auf den Weg nach Italien, um Mailand zurückzuerobern. Die Vorstellung, die Provinzen Neapel und Mailand könnten uns verloren gehen, ist mir unerträglich«, erklärte Ludwig und betrachtete den grauen Himmel, den man durchs Fenster sehen konnte.
Aufmerksam besah er den Horizont und fuhr dann fort:
»Wenn ich zurückkomme, wünsche ich, dass Euer Sohn voll und ganz in seine zukünftigen Aufgaben eingeführt ist.«
Louise gelang es endlich, ihre Gefühle wieder unter Kontrolle zu bringen. Ihre Gesichtsfarbe war vornehm blass wie immer, und das Blut in den kleinen blauen Äderchen an ihrem Hals pulsierte wieder ruhig.
»Eure Entscheidung ist ausgezeichnet, Sire«, sagte sie mit zurückhaltender Stimme. »Ich versichere Euch, mein Sohn wird seine Rolle als König mutig und hartnäckig, rechtschaffen und klug zugleich erfüllen. Ich werde also ohne ihn auf Schloss Amboise bleiben.«
Als sie den Eindruck hatte, das Gespräch sei beendet, fragte sie leise: »Darf ich mich zurückziehen, Sire?«
»Bitte verzeiht mir, Louise, aber ich kann Euch leider nicht zum Schlosshof begleiten. Der Arzt erwartet mich bereits vor meinen Gemächern. Außerdem wird der Duc d’Amboise gleich bei mir vorsprechen. Ich will alle notwendigen Anordnungen für einen baldigen Umzug Eures Sohnes nach Blois erteilen.«
Der König und Louise durchquerten den Thronsaal und verabschiedeten sich mit einem gegenseitigen höflichen Lächeln, das nichts mehr von geheimem Einverständnis hatte. Jeder befand sich jetzt wieder auf eigenem Territorium.
Das Lächeln, mit dem sie sich am Eingang zu den königlichen Gemächern trennten, war deshalb auch mehr ehrerbietig als ehrlich. Und gleich beeilten sich auch schon die Lakaien und Dienerinnen,
Ludwig XII. in wohlgeordneter Hast zu seinem Zimmer zu eskortieren.
Louise bemerkte den Kapitän der Leibgarde, der den König erwartet hatte und ihm etwas mitteilte, ehe er in dem Flur verschwand, der zu seinen Privatgemächern führte.
Als Louise durch die südliche Schlossgalerie zum Ehrenhof lief, wo ihre Equipage auf sie wartete, wäre sie beinahe mit Kardinal d’Amboise zusammengestoßen.
Der große, schlanke, etwa fünfzig Jahre alte Mann, der seinen Degen wohl stolzer trug als seine Bischofsmütze, hatte die Hand am Knauf seiner Waffe und ging sehr schnell.
Er eilte durch die südöstliche Galerie und tat so, als würde er Louise nicht bemerken. Als er am Ende der Galerie gerade die Kapelle Saint-Calais erreichte, huschte Louise
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