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Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)

Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)

Titel: Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jocelyne Godard
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François in die Arme genommen und sich überzeugt hatte, dass seine Amtseinführung ohne Schwierigkeiten verlief, begab sie sich zu Bett und schlief die ganze Nacht tief und fest.
    Als sich am nächsten Morgen der Hof in dem Saal versammelte, in dem sie der König einige Wochen zuvor empfangen hatte und wo sich nun der junge Herzog von Nemours an sie wandte, war es ihr unmöglich, Kardinal d’Amboise aus dem Weg zu gehen, der neben ihr saß und sich angeregt unterhielt.
    So wenig sie d’Amboise mochte, so sympathisch war ihr Nemours. Sie wusste, dass sich Marguerite in den großen, gut aussehenden und energischen jungen Mann mit den sanften Augen und dem verschmitzten Lächeln verliebt hatte. Hätte sie es ihrer Tochter übelnehmen sollen? Ein sechzehnjähriges Mädchen wie Marguerite konnte dem Charme dieses verführerischen Edelmanns nur erliegen.
    Louise hörte Nemours und d’Amboise aufmerksam zu, damit sie jederzeit zu einer schlagfertigen Entgegnung bereit war.
    »Der König hat es sich anders überlegt und will nicht über den Tod des Thronfolgers sprechen. Nur der Aufbruch nach Italien steht auf der Tagesordnung«, erklärte Nemours Louise.
    »War er nicht gerade in Chinon?«
    »Ja, richtig. Er hat dort seinen Gefangenen besucht, ehe der nach Loches verlegt wird.«
    Louise rückte näher zu Nemours, damit der Kardinal sie nicht hören konnte.
    »Könnte es sein, dass Ihr von dem ›Mohren‹ sprecht?«
    »Die Gerüchteküche scheint gut zu funktionieren«, bemerkte d’Amboise spitz.
    »Schließlich ist es kein Staatsgeheimnis, und in ein paar Tagen
weiß der gesamte Hof, dass der König Ludovico Sforza, den ›Mohren‹, gefangen genommen hat, den früheren Herzog von Mailand.«
    Der Kardinal wandte sich an seinen Schildknappen, der gekommen war, um ihm sein Schwert zu überreichen, spielte gedankenverloren damit und fuhr fort:
    »Wir sollten nach Loches reisen und den Gefangenen besichtigen. Das Spektakel dürfen wir uns nicht entgehen lassen.«
    »Kennt Ihr die Kastellanei von Montil?«, fragte Nemours nun an die Comtesse gewandt, weil er den sich anbahnenden Streit zwischen Louise und dem Kardinal verhindern wollte.
    Louise verneinte die Frage und hätte sich beinahe dazu hinreißen lassen, einige persönliche Worte an Nemours zu richten, der gut mit François befreundet war, wie sie wusste. Sie überlegte es sich dann aber doch anders, weil sie sich vermutlich nur lächerlich gemacht hätte, wenn sie fragte, ob ihr Sohn in Blois glücklich sei. Schon kündigten die Wachen mit ihren Hörnern Ludwig XII. an. Sofort schwiegen alle, und der Hofstaat drängte sich hinter einer imaginären Grenze zusammen.
    Es herrschte absolute Stille, die nicht einmal ein Flüstern oder Rascheln störte.
    Aufgeregt beobachtete Louise, wie ihr Sohn einem siegreichen Helden gleich an der Seite des Königs den Saal betrat. Wie schön er war! Allerdings vermochten seine vierzehn Jahre nicht darüber hinwegzutäuschen, dass es ihm noch an Reife fehlte. Prinzessin Claude war erst zehn, wirkte jedoch nicht jünger als er.
    Den staunenden Blicken aller anwesenden Edelleute nach zu urteilen war dem König die Überraschung gelungen, Seite an Seite mit François, dazu noch in Abwesenheit von Königin Anne, zu erscheinen.
    Der junge Mann ging ruhig neben Louis XII. her. Er trug ein
rotes, goldbesticktes Wams und um den Hals eine schwere Silberkette mit einem gewaltigen Lapislazuli, die Louise nicht kannte.
    Als die beiden an Louise vorbeischritten, blieb der König stehen, wandte sich an François und gestattete ihm ein paar Worte.
    »Ich bin entzückt, Euch hier in der Ratsversammlung zu sehen, Mutter«, sagte der junge Mann mit einer tiefen Verbeugung. »Es wäre sehr schön, Euch hier noch recht oft zu begegnen.«
    Mit funkelnden Augen und hochrotem Kopf drängte sich plötzlich Kardinal d’Amboise vor, aber der König zog Louise zu sich. Die Höflinge traten auseinander und verneigten sich. Weil Königin Anne fehlte, erwiesen sie der Comtesse d’Angoulême die Ehre, der Mutter des voraussichtlichen Thronfolgers.
    Der König schien wieder bei Kräften. Er wirkte gesünder und beweglicher, weil er nicht mehr so gebückt ging.
    Er nahm auf dem Thron Platz. Sein Waffenmeister, den Degen an der Seite, der Hauptmann der Wachen mit aufgestellter Hellebarde und sein Schildknappe in Kriegsrüstung stellten sich hinter ihm auf.
    Die Versammelten begriffen sehr schnell, dass der König nicht die Absicht hatte, über seinen Thronerben zu

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