Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)
diskutieren. Er führte ihn ganz einfach ein, indem er ihn und Louise, die die abwesende Königin Anne sehr würdig vertrat, an seine Seite holte.
Mit einem Handzeichen forderte er schließlich Gonfreville und Artus du Gouffier auf, sich zu seinen Wachen zu gesellen. Die Sitzung dauerte nicht lange. Der König sprach von seinem bevorstehenden Italienfeldzug, und jeder konnte feststellen, dass ihn die Krankheit noch nicht endgültig besiegt hatte. Er schien voller Mut und Tatendrang.
Es wurden auch nur wenige Fragen gestellt, obwohl die Anwesenheit des jungen François mehr als eine aufgeworfen haben dürfte. D’Amboise stellte keine Frage. Nemours und de La Trémoille
ließen sich die Zusammensetzung der Bataillone erklären, die abmarschbereit waren. Der königliche Finanzminister rechnete voraussichtliche Einnahmen gegen tatsächliche Ausgaben hoch, die für den neuen Feldzug erforderlich waren, und Marschall La Palice stellte seine Pläne denen von Chevalier Bayard gegenüber.
Die Ratsversammlung endete ebenso überraschend, wie sie begonnen hatte, und als sich Ludwig XII. erhob, gab es ein allgemeines Getuschel über die unglückliche Königin Anne, die sich in ihrem Zimmer eingesperrt hatte.
Nachdem François seine Mutter liebevoll umarmt hatte, durfte er zu seinen Freunden zurück, und der König ließ sich von Louise begleiten.
»Maître Perugino arbeitet an einem Portrait Eurer Tochter, Louis. Wollen wir ihnen einen Besuch abstatten? Wenn ich nicht irre, dürften wir dort auch Alix Cassex antreffen.«
»Sehr gut, da kann ich sie gleich fragen, wie weit sie mit meinen Wandteppichen ist.«
»Durch den Tod ihres Mannes und das Feuer in ihren Werkstätten hat sie viel Zeit verloren. Doch jetzt scheint das Glück wieder auf ihrer Seite. Das zeigt sich schon daran, dass sie im Val de Loire ein Kontor eröffnet hat, in dem sie für den italienischen Markt produzieren will.«
»Hat sie finanzielle Unterstützung erhalten?«
»Oh ja, andernfalls hätte sie sich von diesen Schicksalsschlägen nicht erholt. Alix ist eine mutige und verdienstvolle junge Weberin. Ich kenne sie schon seit über zehn Jahren und konnte jetzt feststellen, dass sie außerdem eine geschickte Geschäftsfrau ist.«
»Und eine verführerische Frau! Es ist sehr betrüblich, dass ihr Mann der Pest zum Opfer gefallen ist.«
Der König kam näher zu ihr und sagte leise hinter vorgehaltener Hand:
»Hat sie einen Liebhaber gefunden, oder ist sie etwa allein?«
»Ich bin überzeugt, dass sie alles andere als allein ist, Sire«, sagte Louise und lächelte den König an.
»Umso besser. Eine so schöne Frau kann noch viele Männer glücklich machen.«
Er kam noch näher und flüsterte: »Darf man fragen, wer der Galan ist?«
»Ein Florentiner Bankier.«
Ludwig nickte nachdenklich und schwieg. Woran er wohl denken mochte, fragte sich die Comtesse d’Angoulême. Aber da näherten sie sich auch schon dem Atelier von Maître Perugino, das nicht weit entfernt von den königlichen Gemächern lag, und redeten nur noch über die kleine Claude und den jungen Comte d’Angoulême, den der König zum Duc de Valois geadelt hatte.
Sie durchquerten den gotischen Vorhof mit der Reiterstatue des Königs, in dem sich prächtige Blattfriese kühn zu Rosetten und emblemverzierten Spitzsäulen gesellten und das Auge mit ihrer Schönheit geradezu blendeten.
Begleitet von den Leibgardisten, die sogleich ihre Hellebarden aufrichteten und in die Hörner bliesen, betraten der König und die Gräfin die weitläufigen Räume vor den königlichen Gemächern. Mit einer gebieterischen Handbewegung schickte Louis einige Wachen fort und führte die Comtesse in einen großen Saal, in dem eine merkwürdige Stimmung herrschte, vermutlich weil der Raum ursprünglich nicht als Atelier gedacht war.
Die Staffelei des Malers stand inmitten eines unbeschreiblichen Durcheinanders aus Regalen mit Farbtöpfen, Kratzeisen, Tüchern voller Farbreste, unfertigen und vollendeten Gemälden.
Vor der Rückwand des großen Saals hing ein gewaltiger karmesinroter Vorhang als Hintergrund für Claude, die wie selbstverständlich auf einer Holzbank mit einem Brokatüberwurf ruhte.
Hinter Maître Perugino saß Alix mit einem Karton, auf den sie Claudes Profil zeichnete. Als der König den Raum betrat, sprang sie auf, ging zu ihm hin und machte eine kleine Verbeugung.
»Ich danke Euch, Sire, dass Ihr mir gestattet, bei der Sitzung mit Eurer Tochter Claude anwesend zu sein.«
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