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Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)

Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)

Titel: Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jocelyne Godard
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meint es nicht gut mit mir, meine liebe Louise. Warum straft mich Gott so hart – obwohl mir doch sogar der Papst seine Zustimmung gegeben hat?«
    »Wie straft er Euch denn, Sire?«
    »Das wisst Ihr sehr wohl, liebe Cousine«, seufzte der König.
    »Ich bitte Euch, Louis, lasst Eure erste Frau Jeanne de France in Frieden«, antwortete die Gräfin beinahe verständnisvoll. »Sie fühlt sich in ihrem Annunziatinnen-Kloster sehr wohl und wirft Euch nichts vor.«
    Der König schüttelte den Kopf, kniff seine dicken Lippen zusammen und schob das Kinn mit zweifelnder Miene vor.
    Hinter dem Brokatvorhang tauchte ein Lakai in gelbroter Livree auf.
    »Euer Mundschenk wünscht Euch zu sprechen, Sire.«
    »Schon gut, er soll kommen.«
    Louis klang etwas gereizt.
    »Ist er allein?«
    »Ja, Sire, er ist allein.«
    »Gut. Schickt ihn zu mir.«
    Der kleine, dunkelhaarige Mann mit seinen lebhaften schmalen Augen, aber unbeweglichen Gesichtszügen, betrat das Ratszimmer des Königs und begrüßte ihn mit einer tiefen Verbeugung.
    »Die Königin sagte mir, dass die Amme für das neugeborene Kind auf Eure Empfehlung hin eingestellt wurde. Ist das richtig?«, fragte ihn der König.
    Der Mundschenk verneigte sich noch einmal tief und sagte:
    »Ja, Eure Majestät, das ist richtig.«
    Louise musste unwillkürlich lächeln, fand aber gleich wieder ihre Selbstbeherrschung.
    Obwohl ihr Ludwig XII. noch gar nicht den Anlass seines Kummers genannt hatte, kannte sie ihn bereits. Königin Annes jüngstes Kind, das nach der kleinen Renée zur Welt gekommen war – ein Junge, dessen Geburt wieder einmal große Aufregung für Louise bedeutet hatte – war gestorben, aber nicht wie sein älterer Bruder direkt nach der Entbindung, sondern erst einige Monate später.
    »Es ist unbegreiflich, dass dieses Kind so schnell gestorben ist! Der Junge wirkte sehr gesund«, klagte der König. »Kanntet Ihr die Amme?«
    »Sie erfüllte sämtliche Anforderungen, Sire.«
    »Das genügt mir nicht. Hattet Ihr Vertrauen in sie?«
    Der Mundschenk zuckte merklich zusammen.
    »Eure Majestät dürfen nicht an meiner Treue zweifeln. Ich war und bin stets Seiner Majestät ergebenster Diener.«
    »Ja, ja, schon gut, das weiß ich. Trotzdem muss ich mich erkundigen.«
    »Die Königin war immer dabei, wenn die Amme dem Kind die Brust gegeben hat, Sire. Hat sie Euch das nicht erzählt?«
    »Doch, doch. Ich erinnere mich.«
    Dann wandte er sich mit einer hilflosen Geste an die Comtesse d’Angoulême, verdrehte die Augen zum Himmel und sagte:
    »Wenn es Euren Sohn nicht gäbe, wäre ich der unglücklichste Mann auf der ganzen Welt!«
    Er machte ein paar nervöse Schritte auf das große Fenster zu, woraufhin eine Dienerin eilends den dicken karmesinroten Vorhang öffnete.
    »Gott straft mich, Louise. Ich kann mich nur wiederholen: Gott straft mich.«
    »Glaubt Ihr wirklich, dass es Gottes Wille ist, Euch zu strafen, Sire? Eure Gattin hatte auch mit ihrem ersten Mann keine glücklichen Schwangerschaften. Sie hat drei Kinder tot geboren, und ihre beiden Söhne sind sehr früh gestorben.«
    »Das stimmt, Ihr habt recht«, räumte der König ein, blieb stehen und fasste sich an den Leib. »Warum wohl bleiben nur unsere Töchter am Leben?«
    »Fühlt Ihr euch wieder nicht wohl, Sire?«, fragte der Mundschenk, und der eben noch ärgerliche Ton in seiner Stimme wich besorgtem Interesse.
    Louise entging nicht, wie geschickt und diplomatisch sich der Mann verhielt. Dieses raffinierte Benehmen wollte sie sich merken. Denn Louise begann allmählich über mögliche Strategien nachzudenken, wenn sie in Zukunft den neuen König beim Regieren unterstützen musste. Vielleicht konnte sie sich gleich bei ihrem schönen Liebhaber Charles de Montpensier, dem Duc de Bourbon, dieser raffinierten Technik bedienen, den sie gewiss liebte, wenn auch ein wenig halbherzig – immerhin stand ihr Erbe auf dem Spiel.
    Der Lakai setzte eine mitleidige Miene auf, und der Mundschenk folgte seinem Beispiel.
    »Fühlt Ihr Euch nicht wohl, Sire?«, fragte er noch einmal.
    »Nein, ich habe schon wieder diese schrecklichen Bauchschmerzen. Den Teufel auch! Ich sollte mehr auf meine Gesundheit achten.«
    Er trat ans Fenster, hielt sich mit einer Hand den Bauch und setzte sich auf seinen Thron. Louise folgte ihm, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen, während sie der Mundschenk aufgeregt überholte.
    »Ihr habt den Anordnungen des Doktors zu folgen«, erklärte Louis XII. dem Mann, der ihm andächtig lauschte.

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