Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)
heißen?«
»Oh doch, Sire, natürlich«, sagte Toinette und blickte kurz zu François, der sie amüsiert ansah. »Andernfalls hätte ich sie gar nicht erst hereingelassen.«
»Wer sind nun diese beiden Damen?«
»Demoiselle de La Baume und Dame Cassex.«
»Teufel noch eins! Dame Cassex überrascht mich nicht sonderlich, obwohl ich nicht wüsste, was es da so Eiliges gäbe. Aber an Demoiselle de La Baume kann ich mich kaum noch erinnern.«
Nachdenklich kratzte er sich am Kinn und fragte:
»Hast du dich auch nicht verhört? Sagte sie wirklich ›Demoiselle‹ de La Baume?«
»Aber ja doch, Sire.«
»Dann handelt es sich wohl um die Tochter.«
Er konnte nicht weiter fragen, weil die beiden jungen Damen bereits einen tiefen Knicks vor ihm machten.
»Alix!«, rief François und lief ihr entgegen. »Wie seltsam, dass wir uns hier in Loches begegnen.«
Wortlos musterte der König die andere Frau. Doch, diese schlanke Gestalt, das vornehme herzförmige Gesicht, die seidige, hellbraune Haut, die tiefschwarzen Haare und die glänzend schwarzen Augen kamen ihm sehr bekannt vor. Aber die Person, die er da vor sich hatte, war weder Léonore noch ihre Tochter Isabelle.
Der König musste sich weit zurück in das Labyrinth seiner Erinnerungen begeben, bis zu einer Zeit, als er noch Herzog von Orléans war und gegen Frankreich kämpfte, vor allem gegen die Regentin Anne de Beaujeu. Zurzeit des Verrückten Krieges, als er in Begleitung von Léonore de La Baume über die Straßen zwischen Orléans und Nantes galoppierte. Léonore musste die Großmutter der jungen Constance sein, die jetzt vor ihm stand.
Weil Alix den Eindruck hatte, bei dieser Begegnung zu stören, zog sie sich ein wenig zurück, während ihre Cousine den König ansah und sagte:
»Ihr habt mich noch nie gesehen, Sire, aber ich weiß, dass Ihr
meine Mutter kennt, die übrigens noch immer auf ihrem Landsitz im Burgund lebt.«
Was sollte er dieser jungen Person sagen? Dass er einmal auf der Straße nach Nantes versucht hatte, Léonore zu küssen, die sich heftig gewehrt und sich über ihn lustig gemacht hatte, weil ihr Herz für einen anderen schlug?
Was sonst? Vielleicht dass er sechzehn Jahre später bei Isabelle, Léonores Tochter, rückfällig geworden war, als diese auf der Flucht vor einem Mann, den sie nicht heiraten wollte, nach Italien unterwegs war? Louis d’Orléans, dessen Truppen damals Mailand belagerten, hatte ihr eine gefährliche Mission übertragen und im Gegenzug Königin Anne, zu dem Zeitpunkt bereits Gattin von König Karl, davon abbringen können, Isabelle zur Ehe mit diesem Mann zu zwingen.
Isabelle hatte den Auftrag angenommen und, anders als ihre Mutter, auch den leidenschaftlichen Kuss von Louis d’Orléans nicht verweigert, mit dem der sich bei ihr dafür bedankte.
Die Mission, mit der Louis Isabelle beauftragt hatte, bestand darin, Ludovico Sforza, den »Mohren«, zu überreden, ihm die Tore von Mailand zu öffnen, zu einer Zeit, als Karl VIII. wie schon sein Vorgänger versuchte, die Provinz Neapel zurückzuerobern, über die früher die Herzöge von Anjou geherrscht hatten. Aber auch König Ludwig wollte Mailand zurückerobern, das seine Urgroßmutter Visconti, die mit einem anderen Louis d’Orléans verheiratet gewesen war, ihrem Sohn Charles d’Orléans vererbt hatte.
Wenn auch Isabelles Mission alle Erwartungen übertraf und dem Herzog von Orléans daraufhin die Tore von Mailand offen standen, hatte sie dabei doch eine tiefe Wunde davongetragen, die niemals heilte. Ludovico Sforza hatte die junge Isabelle verführt, und Constance war die Frucht dieser Liebe, untragbar für eine so große und mächtige Familie wie die Sforza.
»Bitte entschuldigt, dass wir so aufdringlich waren, Sire. Im Grunde bin ich es, die Euch unbedingt sprechen wollte. Meine Cousine Alix begleitet mich nur, weil ich mich allein nicht hergewagt hätte.«
Der König hatte sie lange betrachtet und so ausgiebig in seiner Erinnerung geforscht, dass er noch immer nicht wusste, was er ihr sagen konnte. Schließlich erwachte dann doch noch seine Autorität als Monarch, und er sagte, fast im Befehlston:
»Ich kann mir denken, weshalb Ihr kommt. Leider kann ich aber nichts für Euch tun.«
»Ich will Euch gar nicht um die Freilassung meines Vaters bitten, Sire.«
»Was wollt Ihr dann von mir?«
»Ich möchte ihn nur einmal sehen.«
»Ausgeschlossen!«
»Sire, bitte, ich flehe Euch an!«, bat Constance und sah ihn verführerisch und bettelnd
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