Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)
sind besser als eine, mein Freund, und in diesem Punkt teile ich durchaus die Meinung meines verehrten Vorgängers.«
Der Kerkermeister machte noch eine tiefe Verbeugung vor dem König.
»Darf ich Eurem ehrenwerten Gast die Eisenkrampen zeigen, an denen der Käfig aufgehängt ist?«, fragte er und rasselte mit seinem Schlüsselbund, weil er dieses schaurige Geräusch gern machte.
Ludwig sah den Kerkermeister prüfend an, der daraufhin sofort den Blick senkte.
»Gewiss doch, nur zu.«
»Seht nur, mein Herr«, näselte der Gefängniswärter an François gewandt, »seht Euch die Krampen genau an, dann begreift Ihr sofort, wie dieses Gefängnis gedacht ist.«
Er öffnete den Käfig und forderte François auf, den Kopf hineinzustecken. Mächtige Eisenketten waren ringförmig an der Decke aufgehängt.
»Ihr müsst nicht glauben, die Erfindung dieser Käfige stammt aus der Zeit Ludwigs XI., François. In Italien gab es sie bereits im 12. Jahrhundert, und wir haben sie nur nachgebaut.«
Dann zog er seinen jungen Begleiter von dem Käfig weg.
»Genug jetzt! Gehen wir zum Martelet. Es ist Zeit, unseren ›Gast‹ zu besuchen.«
Der König schien es auf einmal sehr eilig zu haben, den finsteren Ort zu verlassen. Dabei war es in dem Martelet-Turm mit seinen unterirdischen Verliesen nicht weniger schaurig.
Die Luft dort war ungesund feucht, und es stank nach Moder und Urin. Wieder vergrub Louis sein Kinn im Mantelkragen, um seine empfindliche Nase vor dem üblen Geruch zu bewahren.
»Hier modern Bischöfe und aufsässige Edelleute vor sich hin«, sagte er und musste niesen. »Die Hartnäckigsten unter ihnen haben es jahrelang ausgehalten, die Schwächsten nicht einmal sechs Monate.«
Ein großer magerer Mann kam ihnen entgegen. Er trug eine braune Kutte mit Kapuze und hatte einen dicken Rosenkranz aus Holzperlen um die Taille gegürtet. Der Mönch hielt den Kopf gesenkt und hatte die Hände in den weiten Falten seiner Kutte vergraben.
»Sieh an, da ist ja der Freund unseres Gefangenen!«, rief der König. »Er leistet ihm jeden Tag einige Stunden Gesellschaft.«
Der Mönch sah den König an und nahm seine Hände aus den Taschen.
»Ist der Mohr bereit, uns zu empfangen?«, fragte der König und krümmte sich, weil er noch heftiger niesen musste.
»Was für eine fürchterliche Luft!«, schimpfte er.
»Sire, er … Er ist gewiss entzückt über Euren Besuch«, sagte er verlegen.
»Sehr gut, ausgezeichnet. Man möge die Zelle öffnen.«
Der König bückte sich, um unter dem steinernen Türsturz durchzugehen, und betrat den Raum, der etwa dreizehn mal sechzehn Fuß maß.
»In Anbetracht der hohen Stellung unseres Gastes habe ich ihm ein wenig Mobiliar gestattet«, erklärte er François.
Eine schwache Lampe auf einem kleinen Tisch schenkte gerade so viel Licht, dass man einen Mann erkennen konnte, der am anderen Ende des Zimmers an die Wand gelehnt auf seinem Strohsack kauerte.
Als er den König eintreten sah, stand er auf, verbeugte sich aber nicht vor ihm.
»Bitte entschuldigt, Hoheit, aber meine Knochen wollen schon lange nicht mehr so wie ich.«
Er hielt sich nur mit Mühe aufrecht, war aber sichtlich bemüht, nicht zu schwanken.
»Darf ich fragen, wer der junge Herr ist, der mich mit seinem Besuch beehrt? Er muss etwa so alt wie mein Sohn sein.«
»Der Duc de Valois aus der Familie d’Angoulême. François wird mein Thronfolger, wenn mir meine Gattin keinen Thronerben schenkt.«
Der Gefangene musterte den jungen Mann ausgiebig.
Sein Gesicht war eingefallen und wächsern. Nur die langen weißen Haare verliehen seinen starren Augen und der seltsam geschwungenen Hakennase ein wenig Leben.
Ludovico Sforza, genannt der »Mohr«, war seit beinahe acht Jahren in diesem Kerker gefangen, damit er seinen Anspruch auf den Titel des Herzogs von Mailand nicht durchsetzen konnte.
Er trug ein ordentliches schwarzes Gewand, weil Ludwig sehr daran lag, dass er stets gut gekleidet war und immer den Lesestoff bekam, den er verlangte.
Der König hatte auch angeordnet, dass der Gefangene reichlich wohlschmeckendes Essen bekam. Ludovico Sforza schien sich aber nur für die Bücher zu interessieren, die sich auf seinem Tisch stapelten und mit denen er sich hauptsächlich die Zeit vertrieb.
Neugierig sah sich François in der Zelle um.
»Bewundert Ihr meine Wandmalerei?«, fragte ihn der Gefangene mit einem Augenzwinkern.
Die niedrige Decke war mit Sternen und Sternbildern verziert, und auf die Wände hatte er Texte
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