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Die Tränen der Vila

Die Tränen der Vila

Titel: Die Tränen der Vila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jaedtke
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ausgelöscht hatten. In welcher Beziehung ich zu ihm stand, war ihr vermutlich ein Rätsel.
    „Er ist mein Herr“, sagte ich wie zur Antwort auf eine unausgesprochene Frage. „Ich bin sein Knappe und Diener.“
    Ich weiß nicht, warum ich weitersprach, wo doch offenkundig war, dass Lana mich nicht verstehen konnte. Gerade diese Tatsache jedoch löste meine Zunge, denn erstmals konnte ich Gedanken aussprechen, die mich bisher nur insgeheim und darum umso quälender bewegt hatten. Ich befreite mich von ihnen, indem ich sie hörbar von mir gab, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen.
    „Ich diene ihm nur, weil ich keine andere Wahl hatte. Er nahm mich auf, als ich hungernd und allein in der Fremde unterwegs war. Er speiste und kleidete, beschützte und versorgte mich. Ohne ihn wäre ich vielleicht nicht mehr am Leben.“
    Lana hatte sich mir erstaunt zugewandt, denn obwohl sie den Sinn meiner Worte nicht verstand, schien deren traurige Ernsthaftigkeit eine verwandte Seite in ihr zu berühren.
    „Dabei könnte ich mir keinen Mann vorstellen, dem zu dienen mich in größere Gewissensnot stürzen würde“, fuhr ich fort. „Einstmals nämlich – ich war erst elf Jahre alt – tötete er meinen Vater. Er führte eine Truppe von Fußknechten an, so wie vorige Woche, als dein Dorf geplündert wurde. Mein Vater ergriff eine Sense und wollte ihn daran hindern, unsere Nachbarin zu schänden. Hartmann aber erschlug ihn. Ich floh und irrte wochenlang durch die Wildnis – so wie du in den vergangenen Tagen.“
    Ich spürte, wie erstmals eine Trauer in mir aufstieg, die ich seit fast zehn Jahren verdrängt hatte. „Er nahm mir meine Familie. Dennoch bin ich an ihn gebunden und kann ihn weder verraten noch verlassen. Ich weiß nicht, was Gott damit bezweckt; seine Absichten sind mir ein Rätsel. Jedenfalls will ich nicht, dass er stirbt … deshalb bat ich dich, ihn zu schonen.“
    Lana sah mich noch immer aufmerksam an, und ich schämte mich ein wenig, da mir die Tränen kamen. Unvermutet streckte sie eine Hand aus und berührte flüchtig meinen Arm. Die Geste bewegte mich eigenartig, denn es schien mir, als hätte das Mädchen, das mich doch als einen Feind ansehen musste, die Verwandtschaft unserer Schicksale erraten.
    „Ich verdiene dein Mitleid nicht“, sagte ich bitter. „So viel habe ich falsch gemacht … Ich habe keine Hand gegen die Männer erhoben, die deinen Vater, deine Mutter und deine Geschwister getötet haben. Vielleicht war es bereits falsch, mich dieser Heerfahrt anzuschließen – doch die Priester sagten, es sei der Wille Gottes, und ich hoffte auf Vergebung meiner Sünden. Inzwischen aber scheint es mir, als ob dieses heilige Werk die Sünden eher vermehrt, statt sie zu tilgen.“
    In diesem Moment unterbrach ein Geräusch meinen Monolog: Hartmann, keine zehn Schritte von uns entfernt auf seiner Trage ruhend, hustete im Schlaf. Lana, die mir bis zu diesem Augenblick aufmerksam gelauscht hatte, schreckte auf.
    „Odo?“, hörte ich von drüben Hartmanns Stimme.
    Lana tauschte einen letzten Blick mit mir, dann huschte sie davon und verschwand im Dunkeln zwischen den Zelten. Ich erhob mich seufzend, um nach meinem Herrn zu sehen.
    „War das die Wendin?“, fragte er, als ich mich an seiner Seite niederließ. „Das Mädchen?“
    Ich nickte, denn ich sah keinen Grund, es zu verheimlichen.
    „Dann habe ich also nicht geträumt“, murmelte er, streckte das verletzte Bein und rollte sich mit Mühe auf die Seite, so dass er mir ins Gesicht sehen konnte. „Ich hörte nämlich deine Stimme, aber sie klang so fern und fremd, dass ich glaubte, es sei ein Traum.“
    Ich begann zu begreifen: Offenbar hatte er schon längere Zeit in einem halbwachen Zustand verbracht.
    „Ist es wahr?“, fragte er leise.
    „Was meint Ihr?“
    Er sah mich forschend an, als versuchte er im schwachen Mondlicht meine Züge zu erkennen. „Du sagtest etwas über deinen Vater.“
    Das Blut schoss mir ins Gesicht.
    „Ist es wahr? “, fragte er drängend.
    Einen Augenblick zögerte ich, dann überwand ich mich zu einem Nicken.
    Hartmann schien zu erstarren. Selbst sein Atem stockte. Dann stieß er die Luft mit einem langen Seufzer aus. Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, wie sein Mund sich öffnete, doch kein Laut kam über seine Lippen.
    „Es war vor zehn Jahren, in einem kleinen Dorf bei Blankenburg“, sagte ich und wunderte mich selbst über die Ruhe meiner Stimme. „Ihr standet damals noch in den Diensten des Markgrafen

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