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Die Tränen der Vila

Die Tränen der Vila

Titel: Die Tränen der Vila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jaedtke
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Täubchen“, sagte Bertolt mit vollem Mund – und aus der vertraulichen Anrede, die er mit einem leichten Klaps auf ihre Hüfte verband, schloss ich, dass sie sein Eheweib sein musste.
    Sie verließ den Raum durch die Seitentür, und ich verging fast vor Hunger, während ich das Schmatzen der Männer hörte. Als sie zurückkehrte, brachte sie mir einen Überwurf aus Lammfell, den ich dankbar anzog, außerdem ein Schälchen mit gebratenem Fleisch. Ich hatte noch nie im Leben eine Rehkeule gegessen, so dass ich erschrocken spuckte, als ein Knöchlein sich in meine Zunge bohrte. Erneut lachten die Männer, die Frau jedoch kniete neben meinem Strohlager und legte eine Hand auf meinen Arm.
    „Langsam, langsam“, sagte sie, und die warme Stimme im Verein mit dem herrlichen Geschmack ließ mir einen Schauer wohliger Erregung über den Rücken laufen. Erst als ich meinen viel zu großen Bissen hinuntergewürgt hatte, war ich imstande, ihr zu danken.
    „Gott vergelt’s, liebe Frau!“, flüsterte ich.
    „Wie ist dein Name, Junge?“, fragte sie.
    „Odo.“
    „Ich bin Hildegard.“
    „Nun aber nicht gleich angebandelt!“, rief Bertolt, der Räuberhauptmann, mahnend vom Tisch herüber. „Er ist nicht dein Sohn, sondern unser Gefangener.“
    „Solange wir ihn am Leben lassen“, ergänzte sein Nachbar und hob drohend das Messer.
    „Ach, haltet doch den Mund, Mannsbilder!“, fauchte Hildegard, offenbar nicht im Mindesten eingeschüchtert. „Ich bin die Hausmutter, und es ist meine Sache, wie ich wen behandle. Halt dich bloß fern von dem Jungen, Herbort, sonst bekommst du es mit mir zu tun!“
    Erstaunlicherweise wagte der Angesprochene nicht den geringsten Widerspruch, sondern senkte den Blick und schob sich eine Rehkeule zwischen die schadhaften Vorderzähne. Was mich betrifft, so vergaß ich für den Augenblick allen Hunger und starrte die Frau an, die sich zu ihrer vollen Größe aufgerichtet hatte und mit bebender Brust die Fäuste in die Seiten stemmte. Eben noch hatte ihre warme Stimme mich an meine verstorbene Mutter erinnert, nun aber begriff ich, dass es sich um eine resolute Person handelte, mit der nicht zu spaßen war.
    Die Männer leerten schweigend ihre Schüsseln, und erst als Hildegard hinausgegangen war, um für Nachschlag zu sorgen, wandte sich der hagere Herbort an den Hauptmann.
    „Was hast du mit ihm vor?“, fragte er und nickte in meine Richtung.
    Bertolt schluckte und wischte sich Speisereste aus dem Bart. „Nun ja, es ist auf lange Sicht doch eine gefährliche Sache, die Leute mitten auf der Straße auszunehmen, vor allem wenn der Krieg andauert und viele Bewaffnete unterwegs sind. Der Trick mit dem Bruchholz funktioniert recht gut, aber mir würde es besser gefallen, wenn wir die Reisenden in den Wald locken könnten.“
    „Und wie willst du das anstellen?“, fragte einer der anderen Männer, der, wie ich jetzt erst bemerkte, den kahlen Schädel eines Geistlichen trug.
    „Oh, da habe ich schon eine Idee“, sagte Bertolt grinsend, machte jedoch vorläufig keine Anstalten, sich näher darüber auszulassen.
    Das Gespräch wurde unterbrochen, denn Hildegard erschien erneut, diesmal mit einem Krug. Auch ich erhielt einen Schluck daraus, schmeckte zum ersten Mal im Leben Wein und spürte erstaunt die Hitze in der Kehle. Die Männer reichten den Krug herum, wobei sie zu zanken begannen und versuchten, ihn sich gegenseitig aus den Händen zu reißen.
    Da niemand mich mehr beachtete, kauerte ich mich an die Wand und beobachtete sie. Eine ganze Stunde verging, während die Räuber tranken und dabei zunehmend lauter wurden. Die Trunkenheit zeichnete jeden von ihnen gemäß seinem Charakter: Einige lachten unmäßig und ausgelassen; andere, darunter der hagere Herbort, wurden streitsüchtig und schimpften über alles und jeden – über die schlechte Ausbeute des Tages, das Wetter, den Stadtvogt einer nahen Ortschaft und schließlich über die Ungerechtigkeit der Welt im Allgemeinen. Hildegard hatte sich zu ihnen gesetzt, aß aus der Schüssel ihres Ehegatten und duldete ihre Tiraden, solange sie sich nicht auf die Qualität des Essens bezogen. Als Herbort eine abfällige Bemerkung über den stark verdünnten Wein wagte, warf sie einen blankgenagten Knochen nach ihm und schrie wütend, er solle froh sein, überhaupt von ihr durchgefüttert zu werden, schließlich sei sie nicht seine Kammerfrau. Herbort verstummte augenblicklich und wagte kein Wort mehr.
    Irgendwann hatte die Gesellschaft sich

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