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Die Tränen der Vila

Die Tränen der Vila

Titel: Die Tränen der Vila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jaedtke
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kommst mit!“
    „Wird Zeit, dass der unnütze Esser ein wenig Arbeit tut“, knurrte der hagere Herbort beifällig.
    „Ihr werdet ihn doch nicht in Gefahr bringen?“, fragte Hildegard, die das Kaminfeuer schürte. „Denk daran, Bertolt: Er ist noch ein Kind.“
    „In Gefahr ist jeder bei dieser Arbeit“, beschied der Gatte ihr knapp, „abgesehen von dir, Frau.“
    Hildegard fuhr augenblicklich zornig auf. „Was soll das heißen? Riskiere ich etwa nichts, nur weil ich im Haus bleibe, um dir und deiner Bande von Taugenichtsen das Essen zu bereiten? Was, glaubst du, würden der Vogt und seine Männer mit mir tun, wenn sie euch bis hierher verfolgten?“
    Bertolt gab augenblicklich klein bei. Seine Kumpane regierte er mit fester Hand, doch in seiner Gattin fand er eine Grenze seiner Macht.
    „Verzeih, Täubchen“, sagte er demütig. „Ich wollte dich nicht kränken.“
    Hildegard schnaubte unwirsch, und als Bertolt sich anschickte, ihr versöhnlich in die Hüfte zu kneifen, schlug sie seine Hand weg.
    „Sieh nur zu, dass du heute Abend etwas heranschaffst!“, keifte sie. „Und wenn du den Jungen nicht unversehrt zurückbringst, bekommst du es mit mir zu tun!“
    Die Männer schmunzelten hinter ihrem Rücken, und Bertolt gab sich Mühe, es ihnen gleichzutun, obwohl er der Drohung sichtlich einiges Gewicht beimaß.
    „Komm schon, Junge“, wandte er sich an mich, diesmal um einen freundlicheren Ton bemüht. Gehorsam erhob ich mich und folgte den Männern ins Freie.
    Keineswegs fielen die Räuber planlos über beliebige Reisende her; stattdessen hatte der Hauptmann ein System ersonnen, das auf Beobachtung und sorgfältiger Berechnung beruhte. Sobald die Gruppe die Mühle verlassen hatte, trennten sich die Männer, wobei je zwei sich in verschiedene Richtungen des Waldes aufmachten.
    „Herbort und Burkhard zur Schlucht, Sigwalt und Hein zum Aussichtsfelsen“, bestimmte Bertolt knapp. „Hein macht den Läufer. Warmund, du kommst mit mir. Wir nehmen den Jungen mit und gehen zum großen Stein an der Weststraße.“
    Gehorsam folgte ich Bertolt und Warmund, einem kahlköpfigen Mann ohne Waffen, etwa eine halbe Stunde lang durch dichten Wald. Am Ende erreichten wir eine Anhöhe seitlich desselben Waldwegs, an dem die Räuber mich aufgegriffen hatten. Hier lag unter hohen Kiefern ein mächtiger bemooster Stein, an dem die beiden Männer Wache bezogen. Lange Zeit taten sie nichts anderes, als in beiden Richtungen die Straße zu beobachten. Nach etwa einer Stunde kam Hein angelaufen, ein junger und flinker Bursche, der den Weg offenbar im Schlaf kannte.
    „Ein Bauer mit einem Ochsenkarren an der Oststraße“, meldete er, nachdem er zu Atem gekommen war.
    „Lohnt nicht“, winkte Bertolt ab. „Sonst noch etwas?“
    „Ein Fuhrwerk mit fünf oder sechs Mann auf Höhe der alten Schäferkate“, sagte Hein. „Zu viele, nicht wahr?“
    „O nein!“, rief Bertolt erfreut. „Nicht heute – wir haben ja den Jungen. Gib Signal: Sammeln am Wildbach bei der Brücke!“
    Hein nickte und lief eilig in den Wald zurück.
    „Kommt!“, sagte Bertolt und bedeutete Warmund und mir, ihm zu folgen.
    „Was hast du vor?“, fragte Warmund. „Ein Fuhrwerk mit sechs Mann können wir doch nicht angreifen!“
    „Das habe ich auch nicht vor“, sagte Bertolt grinsend. „Der Junge wird sie anhalten und einen von ihnen in den Wald locken.“
    Ich erschrak. Man plante also, mich als Lockvogel vorzuschicken? Bisher hatte ich gehofft, lediglich Handlangerdienste leisten zu müssen, nun jedoch packte mich die Angst, und ich sann rasch über einen Ausweg nach. Vielleicht war es das Beste – und darüber hinaus meine Christenpflicht –, die arglosen Reisenden zu warnen und mich in ihre Gewalt zu begeben, um den Räubern zu entfliehen. Doch würde Bertolt eine solche Möglichkeit nicht vorhersehen und Gegenmaßnahmen treffen?
    In begreiflicher Erregung folgte ich den beiden Männern, bis wir einen kleinen Bachlauf mit Holzbrücke erreichten. Dort hatte sich inzwischen Sigwalt eingefunden, und kurze Zeit später führte Hein auch Burkhard und Herbort aus südlicher Richtung heran. Alle Räuber hatten, wie ich inzwischen verstand, verschiedene Aussichtsposten bezogen, die einen weiten Ausblick über das Umland erlaubten, wobei der junge Hein als Melder zwischen den jeweiligen Positionen kurierte.
    „Wie ist die Lage?“, fragte Bertolt knapp.
    „Sie kommen näher“, sagte Burkhard. „Ein Ochsengespann mit abgedeckter Ladung,

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