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Die Tränen der Vila

Die Tränen der Vila

Titel: Die Tränen der Vila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jaedtke
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Beschwörung schrecklichen Unheils erschien.
    „Und darum möchte ich nicht, dass du mit den Jungen diese törichten Dinge tust“, schloss der Vater.
    „Aber warum denn nicht?“, begehrte Lana auf. „Wenn du glaubst, dass die Sjostjes wiederkommen werden, ist es dann nicht gut, sich im Umgang mit Waffen zu üben?“
    „Nein“, versetzte der Vater scharf. „Es ist sinnlos, gegen die Sjostjes zu kämpfen. Sie tragen Panzerhemden und Schwerter oder reiten zu Pferd mit Lanze und Schild. Erbarmen und Mitleid sind ihnen fremd. Hör auf mich, Svetlana, und vergiss meine Worte nie: Wenn die Sjostjes kommen, dann flieh in die Wälder, am besten ins Moor oder an einen ähnlichen Ort, wohin ihre Pferde dir nicht folgen können. Glaube mir, einer Frau können sie noch Schlimmeres zufügen als den Tod, und daher ist es das Beste, wenn sie dich niemals zu Gesicht bekommen.“
    Lana schwieg, denn die letztere Drohung, die sie nur halbwegs verstand, verschlug ihr die Sprache.
    „Und, bitte“, fügte er noch hinzu, „sprich deinen Großvater nicht auf diese Dinge an. Noch heute beginnt er zu zittern, wenn er daran erinnert wird, was die Sjostjes seinen Leuten antaten.“
    Lana versprach es, und sie versprach ebenfalls, nicht mehr mit den Jungen auf der Weide zu spielen. Die Erzählung des Vaters hatte sie tiefer bewegt als alles, was sie je über die Vergangenheit ihrer Familie erfahren hatte, und aus Schrecken und Furcht fiel es ihr leicht, auf das Spiel zu verzichten. Tatsächlich dachte sie nun, im Nachhinein, eher mit Grauen daran. In der Folgezeit lag sie nicht selten nachts wach und stellte sich all die schaurigen Dinge vor, die ihr Vater berichtet hatte. Auch fragte sie sich ernsthaft, warum die alten Weiber sich vor Kobolden fürchteten oder Beifuß zur Abwehr böser Geister in die Fenster hängten, wo es doch viel Schlimmeres auf der Welt gab. Die bösen Geister schließlich hatte niemand je gesehen; die Sjostjes dagegen waren wirklich, ein drohender Schrecken aus dem Westen, und zu ihrer Abwehr halfen keine magischen Kräuter.
    Von dieser Geschichte, mein Sohn, solltest du vor allem eines im Gedächtnis behalten, nämlich dass Lana lernte, mit einem Bogen zu schießen. Zwar beherzigte sie den Rat des Vaters, dass einzig die Flucht vor der Gewalt der Sjostjes schützen konnte. Der Bogen jedoch wurde zum Werkzeug der Vergeltung, und als er ein zweites Mal in den Händen des Mädchens lag, waren die Pfeilspitzen nicht mehr stumpf.

Wie die Bande zerschlagen wurde
    In meinem Teil der Welt schrieb man das Jahr 1147, als jene Geschehnisse ihren Lauf nahmen, die mein Schicksal und das meiner Gefährten auf unerwartete Weise wenden sollten. Wie es dazu kam, vermag ich nicht zu sagen. Ein Grund war vielleicht, wie ich erst viel später erfuhr, die veränderte Lage im Land: Der Krieg nämlich war vorbei, und dies hatte zur Folge, dass die Grundherren und Stadtvögte sich wieder der Sorge für Recht und Gesetz auf ihren Ländereien zuwenden konnten.
    Der Winter jenes Jahres war hart gewesen und hatte bis weit ins Frühjahr hinein Frost gebracht. Monatelang waren kaum Reisende auf den verschneiten Straßen unterwegs gewesen, und so konnte Bertolt bei der Auswahl unserer Opfer nicht zögerlich sein. Erst kürzlich hatten wir einen fahrenden Weinhändler beraubt, und unter normalen Umständen hätte Bertolt darauf geachtet, dieselbe Finte nicht schon nach wenigen Tagen erneut anzuwenden. Unsere Vorräte jedoch waren erschreckend zusammengeschmolzen, und so war die Versuchung groß, als Hein und Sigwalt ein Pferdefuhrwerk erspähten. Es kam von Süden die Straße herauf, wurde von zwei Berittenen begleitet und war offenbar mit Salzfässern beladen. Eine Zeitlang stritten die Räuber, denn Bertolt beschlich ein ungutes Gefühl; die anderen jedoch drängten zur Tat, denn Salzhändler waren zumeist reich und besaßen pralle Geldbeutel. Am Ende wurde der übliche Hinterhalt gelegt, und man schickte mich vor, um einen der Berittenen in den Wald zu locken.
    Als ich auf die Straße stürzte und meinen Hilferuf anstimmte, zog der Kutscher die Zügel an, und die beiden Reiter, die Kapuzen trugen, hielten inne. Sie waren gekleidet wie fahrende Kaufleute, doch als der Anführer seinen Mantel zurückwarf und nach dem Schwert griff, das er darunter verborgen hatte, erschrak ich heftig.
    „Bleib stehen, Junge!“, rief der Mann, während mir das Herz in die Kehle sprang. „Und verschone uns mit der Geschichte von deiner Schwester!“
    Er

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