Die Tränen der Vila
Märkte und Gasthäuser.“
Sein umgänglicher Ton ermutigte mich, eine der vielen Fragen zu stellen, die mich beschäftigten.
„Wart Ihr schon einmal dort, Herr?“
„Nein“, antwortete Hartmann, der offenbar durchaus nicht abgeneigt war, ein Gespräch zu beginnen. „Ich stamme aus Franken und war noch nie so weit im Norden.“
„Franken …“ Ich hatte kaum eine Vorstellung, wo dieses Herzogtum lag. „Ist das weit fort?“
„An Rhein und Neckar“, erwiderte Hartmann. „Sagt dir das nichts?“
Ich verneinte stumm. „Ist es ein schönes Land?“
„Das war es wohl“, sagte Hartmann, drehte sich auf den Rücken und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. „Ich bin seit mehr als zehn Jahren nicht mehr dort gewesen.“
„Und wer sorgt für Euren Besitz?“
Hartmann lachte. „Ich habe kein Land, junger Odo. Alles, was ich besitze, liegt hier in diesem Ziegenstall.“ Er deutete auf sein Reisegepäck, das aus mehreren Bündeln bestand. „Ich bin ein fahrender Ritter. Mein Vater war edelfreier Vasall und besaß ein Landgut, doch mein älterer Bruder hat es geerbt, während ich dem Brauch gemäß in ein Kloster eintreten sollte.“
Ich schwieg in der Hoffnung, ihn in seiner Redseligkeit zu ermuntern und mehr zu erfahren.
„Du weißt doch, was ein Kloster ist?“, fragte er.
„Ja, Herr. Ein Ort, an dem heilige Männer …“
„Ein Ort“, unterbrach Hartmann, „an dem abgeschobene Adelssöhne beten, in Schreibstuben hocken und sich abends den Wanst vollstopfen, bis sie feist werden wie Weiber.“ Er lachte. „Das ist kein Leben für einen Mann. Also habe ich meine Sachen gepackt und bin fortgegangen. Lieber unter freiem Himmel schlafen als in einer Klosterzelle!“
Unwillkürlich fühlte ich mich an Warmund erinnert, der gleichfalls kein sehr anziehendes Bild des mönchischen Lebens gezeichnet hatte.
„Also habt Ihr kein Heim?“, folgerte ich.
Der Ritter schüttelte den Kopf. „Ich ziehe umher, von einem Ort zum anderen. Zugegeben, es ist ein hartes Leben, und ich hätte nichts dagegen, wenn jemand mich für meine Dienste mit einem Stück Land belohnen wollte.“
Ich schwieg nachdenklich, denn plötzlich fühlte ich mich diesem Mann sehr nahe, der gleich mir ein Getriebener war und heimatlos durch die Welt zog.
„Dieser Kreuzzug ist eine gute Sache“, fuhr er fort, mehr zu sich selbst sprechend als zu mir. „Ich weiß nichts von den Wenden – außer, dass sie Götzen anbeten –, und es interessiert mich auch nicht. Aber man wird Ländereien im Osten erobern, und nachher wird man Dienstleute brauchen, die sie verwalten.“
„Aber der Zweck dieses Zuges ist doch, den Heiden das Christentum zu bringen!“, warf ich ein.
Hartmann schmunzelte spöttisch. „So wollen es vielleicht der Papst und die Bischöfe, doch die Fürsten wollen Land, Vasallen und Tribute von neuen Untertanen. Und im Übrigen wird auch ein Bischof sich nicht beklagen, wenn er eine neue Diözese und reichlich Hufen zu ihrer Ausstattung erhält.“
Erneut fühlte ich mich an Warmunds Reden erinnert und staunte, auf welch sarkastische Weise ausgerechnet Männer von Adel sich über die heilige Kirche ausließen.
„Der junge Herzog Heinrich jedenfalls“, fuhr der Ritter fort, „wird gewiss nicht einfach über die Elbe ziehen, ein paar Kirchen errichten und wieder zurückkehren wollen. Er wird das Land in Besitz nehmen.“
„Aber liegt der Herzog nicht im Krieg mit dem Markgrafen Albrecht?“, erinnerte ich mich. „Wie kann er unter diesen Umständen das Land verlassen und gegen die Wenden ziehen?“
„Der Krieg ist schon lange vorbei“, erwiderte Hartmann. „An welchem gottverlassenen Ort hast du denn die letzten Jahre verbracht, dass du das nicht weißt? Heinrich der Stolze ist gestorben, doch seine Anhänger haben den Markgrafen Albrecht besiegt und nach Süden zurückgedrängt. Am Ende erreichten sie, dass das Herzogtum Heinrichs Sohn zugesprochen wurde. Damals war er dreizehn Jahre alt und konnte zunächst nur unter der Vormundschaft seiner Mutter regieren. Inzwischen ist er achtzehn, und es heißt, er sei mutig wie kein anderer und übertreffe an Stolz sogar seinen Vater – man nennt ihn Heinrich den Löwen.“
„Und Ihr habt beschlossen, Euch in seinen Dienst zu begeben?“, fragte ich.
„Allerdings“, versetzte Hartmann. „Heinrich ist jung, nicht älter als du, hat also gute Gründe, sich hohe Ziele zu setzen und seinem Namen Ehre zu machen. Er wird viel erreichen, dessen bin ich
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