Die Tränen der Vila
sicher. Außerdem ist er kein Priesterknecht und lässt sich von den Kirchenmännern nichts vorschreiben. Im Gegenteil.“ Hartmann schmunzelte. „Er zeigt ihnen, wo ihr Platz ist.“
„Was meint Ihr damit?“
„Nun, ich habe eine interessante Geschichte über den jungen Herzog gehört. Vor drei Jahren stritt er mit dem Erzbischof von Bremen über das Erbrecht an einer Grafschaft im Norden. Ein Fürstengericht wurde einberufen, um den Streit zu schlichten. Doch was tat der junge Heinrich? Er schickte bewaffnete Männer ins Gericht, die den Erzbischof gefangen nahmen und nach Lüneburg brachten, wo er so lange festgehalten wurde, bis er Heinrich die Grafschaft übertrug.“
Ich starrte den Edlen mit offenem Mund an. Ein junger Fürst, gerade so alt wie ich, sollte einen Erzbischof wie einen gemeinen Dieb abgeführt und in den Kerker geworfen haben? Es schien mir unglaublich.
„Ist das wirklich wahr?“, fragte ich entgeistert.
„So jedenfalls hat es mir ein Kaufmann in Quedlinburg erzählt.“ Hartmann schmunzelte, und ich erriet, dass die Geschichte ihm keineswegs Entrüstung, sondern ehrliche Bewunderung für den kaltblütigen Herzog abnötigte.
„Aber wenn der Herzog so wenig Achtung vor der Kirche hat“, sinnierte ich, „warum geht er dann auf einen Kreuzzug?“
Hartmann lächelte. „Eben deshalb, weil es Ruhm, Land und neue Untertanen zu gewinnen gibt. Wenn Heinrich siegt, wird er in Zukunft über die Wenden herrschen. Sie werden ihm Tribute zahlen, und ihre Fürsten werden ihm den Treueid leisten und sein Heer verstärken.“
Er schwieg eine Weile mit zur Decke gerichteten Augen. Dann wandte er plötzlich den Kopf und warf mir einen forschenden, aber nicht unfreundlichen Blick zu.
„Du stellst eine Menge Fragen“, bemerkte er. „Offenbar bist du nicht auf den Kopf gefallen. Ich hätte nicht erwartet, dass ein Bauernsohn sich für die Reichspolitik interessiert.“
Ich schwieg, unsicher, ob diese Worte Anerkennung oder Tadel bedeuteten.
„Ich glaube, dich kann ich gut gebrauchen“, fügte er nach einer Weile hinzu. „Schlaf jetzt, Junge! Wir haben morgen einen weiten Weg vor uns.“
Am nächsten Morgen war ich zeitig wach, während der Ritter noch friedlich schnarchte. Ich nutzte die Gelegenheit, den Schlafenden zu betrachten, und fragte mich, ob ich richtig gehandelt hatte, indem ich mich ihm anschloss. Er schien ein freundlicher und keineswegs strenger Herr zu sein, andererseits vergegenwärtigte ich mir seine herablassenden Äußerungen über die heilige Kirche. Ich selbst hatte erst kürzlich meinen Glauben wiedergefunden und war überzeugt, dass der Allmächtige mich für den Kreuzzug aufgespart hatte; Hartmann jedoch schien nicht gerade der richtige Mann zu sein, um mich in dieser Überzeugung zu bestärken. Vielleicht hatte Gott es mir bestimmt, durch gutes Beispiel auf ihn einzuwirken.
Als die Sonne aufgegangen war, öffnete der Bauer die Stalltür und brachte eine Morgenmahlzeit, die aus zwei Näpfen mit Hirsebrei bestand. Ich dankte ihm und nahm die Speise entgegen, wagte jedoch nicht, mit dem Essen zu beginnen, da der Ritter noch immer schlief. Meiner neuen Pflichten eingedenk, begann ich daher, das Pferd für den Aufbruch zu beladen. Wie ich feststellte, enthielten die Reisebündel meines neuen Herrn einen Kochkessel, ein zerlegbares Eisengestell und anderes Geschirr, außerdem mehrere Kleidungsstücke, ein feines Rasiermesser und einen Messingspiegel. Darüber staunte ich nicht wenig, denn ich hatte noch nie einen Spiegel in der Hand eines Mannes gesehen. Das letzte Bündel schließlich, so schwer, dass ich es mit beiden Armen anheben musste, enthielt ein zusammengerolltes Kettenhemd aus Eisenringen. Ich bemühte mich, alle Gepäckstücke so auf dem Rücken des Pferdes zu plazieren, wie ich es am Vortag gesehen hatte, zog sorgfältig die Haltegurte fest und klopfte schließlich den Hals des Tiers, damit es sich an mich gewöhnte.
„Sehr gut, Odo!“
Ich fuhr herum und sah, dass Hartmann die Augen geöffnet hatte. Er wirkte keineswegs verschlafen, und ich begriff, dass er schon längere Zeit wach war und mich heimlich beobachtet hatte.
„Ich sagte ja schon: Du bist nicht dumm. Ein Dummkopf hätte versucht, mich zu bestehlen und sich rasch davonzumachen – und das wäre ihm schlecht bekommen.“
Er legte die Hand auf den Griff seines Schwertes, das er auch auf dem Nachtlager nicht abgelegt hatte. Erschrocken senkte ich den Blick, doch der Ritter lächelte.
„Setz
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