Die Tränen der Vila
Christenmenschen schaudern lassen müssen – doch habe ich mir geschworen, nichts zu unterschlagen, was für das Verständnis des Fortgangs meiner Geschichte von Bedeutung ist.
Lana saß also am Grab ihrer Großmutter und hatte, wie sie es öfter tat, eine Hand auf den kleinen Erdhügel gelegt, unter dem die Urne mit der Asche der Verstorbenen ruhte. Stets war es ihr, als strömte bei dieser Berührung eine lebendige Kraft durch ihren Leib – und zurzeit benötigte sie diese Kraft dringender denn je.
„Lana, komm schon!“, rief Maika vom Haus herüber.
Es war der Vorabend des Tages, an dem ihr Volk die Sommersonnenwende feierte. Wie in jedem Jahr erwarteten die Bauern voller Erregung und Vorfreude dieses traditionelle Fest. Lana war inzwischen siebzehnjährig und damit erstmals alt genug, um an den Riten teilzunehmen. Allerdings empfand sie keine Freude bei diesem Gedanken, denn zweierlei Sorgen überschatteten ihn. Zum einen war der Großvater in letzter Zeit schwach und kränklich geworden, und Lana fürchtete, dass er bald sterben könnte. Zum anderen war die Aussicht auf ein Fest, bei dem die gesamte Dorfgemeinschaft zusammenkam, nicht sehr erhebend für eine Außenseiterin.
Die gleichaltrigen Jungfern missachteten Lana seit langem, denn ihre Mütter erzählten die seltsamsten Geschichten über das kleingewachsene Mädchen mit dem schwarzen Haar. Einige der älteren Frauen verbreiteten das Gerücht, Lana sitze nachts am Bach und halte Zwiesprache mit den Geistern. Nadevka, die Tochter des Dorfältesten, behauptete gar, Lana könne sich in bestimmten Nächten in eine schwarze Krähe verwandeln und davonfliegen – was sie selbst vermutlich ebenso wenig glaubte wie ihre Zuhörer. Die Gleichaltrigen aber hatten bereitwillig das Wort von der „schwarzen Krähe“ aufgegriffen, das fortan zu einem wenig schmeichelhaften Spitznamen für Lana geworden war.
Auch die Jungen hatten sich von ihr zurückgezogen, denn nachdem ihre Eltern ihnen die Spiele auf der Weide verboten hatten, entstand rasch die üble Nachrede, dass Lana sie dazu aufgestachelt habe. Selbst Ladislav, der Sohn des Bogenmachers, sprach nicht mehr mit ihr, sondern senkte betreten den Kopf, wenn sie einander begegneten.
„Lana!“, rief die Stiefmutter erneut.
Am liebsten hätte Lana den Festtag im Garten verbracht, allein am Grab ihrer Großmutter, während alle anderen sich auf dem Dorfplatz versammelten. Doch die Sitte verlangte die Teilnahme jedes Einzelnen, der das erforderliche Alter erreicht hatte, und so musste sie aufstehen und sich ihren Eltern anschließen. Fast beneidete sie ihre beiden jüngeren Brüder, die im Haus blieben, um den kranken Großvater zu pflegen.
Sie gingen zum Dorfplatz hinüber, wo bereits das rituelle Feuer entzündet worden war und alle Erwachsenen im Kreis standen, von jungen Frauen und Männern, die nicht älter waren als Lana, bis hin zu den Greisen. Alle sangen ein Lied zu Ehren der Götter, wobei Männer- und Frauenstimmen einander abwechselten. Dabei warfen sie Opfergaben in das Feuer, Korn, Gemüse, Früchte, Brot oder Fleisch. Maika hatte Äpfel aus dem heimischen Garten mitgebracht, und auch diese verschwanden in den Flammen. Als das Lied endete, reichten die Dorfältesten einen Krug mit Honigmet herum, und jeder musste daraus trinken – auch Lana, die sich am liebsten geweigert hätte, weil das süßliche Getränk ihr in der Kehle brannte.
Inzwischen war die Sonne versunken, und am Himmel blitzten Sterne auf. Aus Erzählungen wusste Lana, was nun geschehen würde, und während alle anderen lachten, scherzten und einander zutranken, hielt sie sich scheu im Hintergrund. Mehrere Männer hatten Stöcke in Brand gesetzt und schichteten sie nun zu Haufen, so dass rund um das große Feuer mehrere kleinere entstanden. Dann legten alle, vom jungen Mädchen bis zum Greis, ihre Kleider ab und begannen, unter dem ausgelassenen Geschrei und Gelächter der Zuschauer, nackt über die Feuerstellen zu springen.
„Du auch!“, flüsterte die Stiefmutter Lana zu, während sie ihr Leinenkleid über den Kopf streifte.
Zögerlich entledigte sich auch Lana ihres Kleides, blieb jedoch am Rand des Geschehens und war froh, dass die allgemeine Aufmerksamkeit bei den Springkünstlern weilte, die sich vor den Feuerstellen drängten. Die Anteilnahme war groß, und bei jedem Sprung wurde geraunt, gejohlt und zuweilen sogar applaudiert.
Auch Lana sah zu, doch schweigend und mit wachsendem Unbehagen. Eben sprang Nadevka, die
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