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Die Tränen der Vila

Die Tränen der Vila

Titel: Die Tränen der Vila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jaedtke
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ausgemacht hatte.
    „Hier steckst du also.“
    Er ließ sich ihr zur Seite nieder, in der gleichen Haltung wie sie, doch ohne sie zu berühren.
    „Warum bist du fortgelaufen?“
    Lana schwieg und mied seinen Blick, spürte jedoch die Hitze, die von seinem nackten Körper ausging, und roch den fremdartigen, männlichen Duft seines Haars. Auch er schwieg eine Weile, offenbar angestrengt sinnend, auf welche Weise das Gespräch am besten fortzusetzen sei.
    „Weißt du noch, wie wir immer auf der Weide gespielt haben?“, fragte er schließlich. „Ich konnte kaum glauben, dass ein so zarter Arm eine Bogensehne spannen kann.“ Und er legte wie zufällig eine Hand auf ihren Oberarm.
    Sie erschauerte leicht, wagte jedoch noch immer nicht, sich ihm zuzuwenden. Es fiel ihr schwer, sich über ihre Empfindungen klarzuwerden. Einerseits mochte sie Ladislav, andererseits befremdete sie die plumpe Annäherung, zumal er in den vergangenen Monaten kein Wort mit ihr gesprochen hatte. Wie alle anderen hatte er das Krähenmädchen gemieden – und nun sollte der Anblick ihrer nackten Brüste genügen, um seinen Sinn zu wenden?
    Seine Hand fuhr an ihrer Elle hinab, und da sie die Hände um die Knie geschlungen hatte, war es ihm ein Leichtes, vom Arm auf ihr Bein zu wechseln.
    „Lass mich“, bat sie und entzog sich ihm.
    „Warum? In dieser Nacht ist alles erlaubt.“
    „Ich will aber nicht.“ Sie drehte sich weg.
    Er verharrte enttäuscht, dann sagte er mit scheinbar gleichmütiger Stimme: „Vielleicht hast du es noch nicht gehört, aber die Sjostjes planen einen Feldzug in unser Land. Mein Vater hat mir davon erzählt.“
    „Die Sjostjes?“ Angstvoll wandte sie sich zu ihm um.
    Er nickte ernst, und die Hand näherte sich erneut ihrem Knie. „Stell dir vor, sie kommen hierher und schlagen alles kurz und klein“, raunte er. „Du willst doch nicht als Jungfrau sterben, oder?“
    Lana schlug seine Hand weg, denn dieser Scherz kränkte sie empfindlich. Nach dem, was ihr Vater über die Sjostjes gesagt hatte, fürchtete sie ernstere Gefahren, als jungfräulich zu sterben. Ladislav konnte das natürlich nicht wissen, spürte jedoch, dass er zu weit gegangen war, und zog seine Hand zurück.
    In diesem Augenblick – wohl zu Lanas Glück – wurde ihr Gespräch unterbrochen, denn eine schattenhafte Gestalt erschien auf dem Weg zum Bach.
    „Ladislav?“
    Lana kniff die Augen zusammen und erkannte Nadevka. Ladislav zuckte zusammen, als sei er beim Äpfelstehlen ertappt worden, und fuhr erschrocken in die Höhe.
    „Sieh da!“, sagte Nadevka mit einem grimmigen Lachen. „Der kleine Ladislav und die schwarze Krähe! Pass bloß auf, dass sie dich nicht verhext!“
    „Ich … habe sie nur zufällig getroffen“, stotterte er mit hochrotem Gesicht.
    „Soso“, sagte Nadevka grinsend und stemmte beide Hände in die Seiten. „Ganz zufällig bist du ihr nachgerannt.“
    „Ach, denk doch, was du willst!“, fauchte Ladislav, wandte sich um und trottete in Richtung Dorfplatz davon.
    Nadevka wartete, bis er außer Hörweite war, dann trat sie näher zu Lana und sagte leise: „Merk dir eins: Ladislav gehört mir. Vielleicht findest du ja einen anderen, der zu dir passt, wenn du noch länger hier am Bach hockst – zum Beispiel den Wassermann mit dem Schilfhaar und den Gänsefüßen.“
    Sie wartete einen Moment, um die Beleidigung wirken zu lassen, doch als Lana keine Antwort gab, wandte sie sich um und ging erhobenen Hauptes davon.
    Lana blieb am Bach zurück, allein mit ihren widerstreitenden Gefühlen. Sie war zornig, nicht nur auf Nadevka, sondern auch auf den Jungen, der sein Interesse an ihr sofort verleugnet hatte, als er ertappt worden war. Wahrscheinlich mochte er sie wirklich, doch sein Stolz war ihm wichtiger, und niemals hätte er vor anderen zugegeben, dass er das Krähenmädchen begehrte. Es hätte sie nicht überrascht, schon am nächsten Morgen zu erfahren, dass er stattdessen mit Nadevka im Gebüsch verschwunden war. Doch so einsam und gekränkt sie sich auch fühlte, es beschäftigte sie noch ein anderer Gedanke: Ob es stimmte, dass die Sjostjes kamen? Oder hatte er das nur gesagt, um sie zu ängstigen und ihr Zärtlichkeiten abzunötigen?
    Ich hätte diese Frage zur gleichen Zeit mit Bestimmtheit beantworten können: Ja, die Sjostjes waren auf dem Weg. Sie schliffen bereits ihre Waffen und strebten dem Sammelplatz bei der Ertheneburg an der unteren Elbe zu – und ich war im Begriff, mich ihnen anzuschließen.

Wie

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