Die Tränen der Vila
Kochgestell auf, damit wir ein wenig von unserem Fleisch braten können. Ich brauche heute eine warme Mahlzeit.“
Ich tat, wie mir geheißen, holte Zunder und Flintstein aus dem Reisebündel, sammelte trockene Zweige und stellte das eiserne Dreibein auf, das Hartmann mit sich führte. Wasser zum Kochen brauchten wir nicht; stattdessen legte ich das Räucherfleisch nach Hartmanns Anweisung einfach auf den Boden des kleinen Kochkessels, um es anzubraten und schließlich mit einem Holzspieß herauszuheben. Dann benagten wir unsere Spieße, woraufhin Hartmann seine Feldflasche zückte und sie auch mir herüberreichte.
„Dein nächster Dienst, Odo“, sagte er, als er schließlich seine Schlafmatte ausrollte, „besteht darin, wach zu bleiben und auf unser Gepäck aufzupassen.“
„Glaubt Ihr denn, es könnte uns etwas gestohlen werden?“, fragte ich erschrocken. Immerhin, so dachte ich, befanden wir uns doch im Heerlager eines Kreuzzugs, umgeben von lauter gottesfürchtigen Menschen – dann jedoch blickte ich hinüber zu den Kriegsknechten, die inzwischen in eine wüste Rauferei geraten waren, und verstand, was Hartmann meinte.
„Tu, was ich sage“, versetzte mein Herr. „Weck mich, wenn der Mond am höchsten steht. Dann werde ich wachen, und du kannst schlafen.“
Ich nickte gehorsam, stapelte unser Gepäck zu einem Haufen und setzte mich mit dem Rücken dagegen, den Blick zum Lager gewendet. Hartmann schlief rasch ein, und als endlich auch unsere Nachbarn das Zechen und Zanken seinließen und Ruhe im Lager einkehrte, hatte ich einige Mühe, wach zu bleiben. Um Mitternacht weckte ich meinen Herrn, nickte augenblicklich ein und schlief bis weit in den Vormittag.
Von dem fremden Mädchen – ein viertes Mal
Weit fort, tief in den Wäldern auf der anderen Seite der Elbe, graute der Morgen.
Noch bevor die ersten Hähne die aufsteigende Sonne begrüßt hatten, weckte der Ruf eines Horns die Menschen, und sie traten mit verschlafenen Augen vor ihre Türen. Auch das Mädchen namens Lana war unter ihnen, begleitet von ihren Eltern und den jüngeren Brüdern. Einzig der kranke Großvater blieb im Haus, da er nicht mehr ohne Hilfe aufstehen konnte.
Mehrere Reiter waren von Westen aus dem Wald gekommen und ritten soeben an der stummen Menge vorbei zum Dorfplatz. Sie trugen runde Holzschilde, Schwerter und Speere. Ihr Anführer, ein noch junger Mann, zügelte sein Pferd und wandte sich den Dorfbewohnern zu.
„Hört mich an!“, rief er. „Ich bin Pribislav von Viligard, Sohn des Niklot. Ich tue euch kund, dass die Sjostjes ein Heer gesammelt haben und binnen weniger Tage in unser Land einfallen werden.“
Die Zuhörer lauschten schweigend. Einige erbleichten, andere griffen einander bei den Händen.
„Sie kommen mit mindestens siebentausend Mann“, fuhr der Fürstensohn fort, „und die verfluchten Dänen, ihre Verbündeten, werden noch einmal so viele zu ihrer Hilfe entsenden. Ich rufe daher alle waffenfähigen Männer auf, nach Dobin am großen See zu kommen. Dort hat mein Vater in den vergangenen Wochen eine mächtige Burg errichtet. Eure Frauen und Kinder könnt ihr mitnehmen, denn sie werden dort sicherer sein als hier. Wir haben Vorräte und Waffen und werden einer Belagerung lange standhalten. Folgt der Straße nach Westen! Es sind nur acht Wegstunden von hier. Wer nicht kommen will, mag sich in den Wäldern verbergen, und die Götter mögen ihm beistehen.“
Er musterte die Bauern reihum und wandte sich schließlich an Oleg, den Dorfältesten. „Wo liegt das nächste Dorf?“
„In dieser Richtung, Herr“, antwortete Oleg und deutete zum östlichen Dorfausgang.
Der Fürstensohn nickte, winkte seiner Truppe und setzte sich in Bewegung. Die Dorfbewohner blieben stehen, bis die Reiter im Schatten des Waldes verschwunden waren. Erst als Oleg sich umwandte und ins Haus eilte, löste die Versammlung sich auf. Einige der Bauern begannen auf der Stelle, ihre Vorratsgruben zu leeren, um Getreide und Gemüse in tragbare Ledersäcke zu füllen.
Lanas Familie zog sich ins Haus zurück, wo der kranke Großvater fiebernd auf seiner Schlafbank lag. Danek, Lanas jüngster Bruder, war bei ihm geblieben und tupfte die Stirn des alten Mannes mit einem feuchten Tuch. Als die Eltern mit todernsten Gesichtern hereinkamen, blickte der Junge erschrocken auf.
„Was ist geschehen?“
„Die Sjostjes kommen“, antwortete Maika. „Wir müssen fort, auf der Stelle.“
„Aber wir können nicht fort!“, rief Danek.
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