Die Tränen der Vila
Bevölkerung aus den umliegenden Orten zurückziehen, und auch Niklot selbst wird mit seinen Kriegern dort sein.“
„Gut – dorthin werden wir also ziehen“, entschied Herzog Heinrich. „Ich werde Nachricht an die Dänen senden, die gegenwärtig ein Heer zu unserer Unterstützung rüsten. Wir werden auf dem Landweg zu diesem See ziehen und Dobin von Süden belagern, während die Dänen an der Ostseeküste landen und von Norden zu uns stoßen.“
„Eine Erstürmung der Burg dürfte allerdings gefährlich und verlustreich sein“, gab Graf Adolf zu bedenken. „Es heißt, dass die Festung auf einer Landzunge liegt und auf zwei Seiten von Wasser umgeben ist. Vielleicht wäre es das Klügste, die Burgbesatzung lediglich auszuhungern, bis Niklot sich freiwillig unterwirft.“
An dieser Stelle fuhr der Erzbischof von seinem Sitz in die Höhe, und sein Zorn war so gewaltig, dass er die Hände seiner Gefolgsleute abschüttelte, die herbeigesprungen waren, um ihn zu stützen.
„Erinnert Euch, was der Abt von Clairvaux und Seine Heiligkeit Papst Eugen Euch befohlen haben!“, rief er. „Wenn die Heiden nicht den christlichen Glauben annehmen wollen, müssen sie ausgerottet werden! Ihr sollt nicht mit ihnen verhandeln, keine Kapitulation hinnehmen und keine Vereinbarungen mit ihnen schließen, und auch auf eigene Verluste sollt Ihr keine Rücksichten nehmen, um Euer Ziel zu erreichen!“ Er stützte schwer atmend die Arme auf die Tischplatte, wobei zu erkennen war, dass seine dürren Handgelenke unter der Soutane vor Anstrengung zitterten. „Nicht Unterwerfung der Wenden unter Eure Herrschaft sollt Ihr suchen, sondern allein ihre Unterwerfung unter den Glauben und die heilige christliche Kirche!“
„Und wie wollt Ihr Kirchen errichten und den wahren Glauben verbreiten, wenn nicht ein christlicher Fürst die Wenden beherrscht?“, fragte Herzog Heinrich, der sich durch den greisen Kirchenmann nicht einschüchtern ließ.
„Ihr meint: Von Euch und Euren Vasallen soll es beherrscht werden!“, stellte der Erzbischof wütend fest.
„Jawohl, von mir und meinen Getreuen!“, sagte Herzog Heinrich scharf. „Ich werde Niklot unterwerfen und dieses Land erobern – und wenn Ihr dort Kirchen errichten wollt, so könnt Ihr das nur mit meiner Hilfe tun!“
Alle Umstehenden hielten den Atem an und starrten gebannt auf die beiden Kontrahenten: hier der junge Herzog, leicht vorgebeugt und mit drohend verengten Augen; dort der greise Kirchenfürst, mit gerötetem Gesicht und bebend vor unterdrücktem Zorn. Das stumme Kräftemessen endete damit, dass der Erzbischof sich in seinen Sitz zurückfallen ließ und schnaufend den Atem ausstieß, woraufhin der Herzog den Blick wieder in die Runde wandte.
„Wir warten noch sechs Tage bis zum Sonntag“, sagte er, „denn den heiligen Tag der Ruhe werden wir einhalten. Am Montag aber ziehen wir los, und zwar auf geradem Weg zu dem See, wo die Wendenfestung Dobin liegt. Sammelt Eure Männer und seid bereit!“
Die Edlen nickten zustimmend, und nachdem der Herzog die Beratung beendet hatte, zerstreuten sie sich oder fanden sich in kleinen Gruppen zusammen.
Auch Ritter Hartmann hielt es für angemessen, sich zu entfernen, und nickte mir zu. Wir gingen zu unseren Pferden zurück und saßen auf.
„Wohin gehen wir nun, Herr?“, fragte ich.
Hartmann zuckte mit den Achseln. „Da uns leider keiner der Edlen einen Platz in der Burg angeboten hat, wird uns nichts anderes übrigbleiben, als das Heerlager aufzusuchen und unter freiem Himmel zu schlafen.“
Also verließen wir die Burg und zogen in die Ebene hinaus, wo sich der Himmel über den Hunderten von Zelten bereits abendlich rötete.
Da wir über kein Zelt verfügten, mussten wir uns am Rand des Lagers im Schatten einiger Bäume niederlassen. Mir war die abseitige Lage des Platzes nur recht, denn die Menschenmassen ängstigten und verwirrten mich, zumal nicht wenige der Lagernden offenkundig betrunken waren und einigen Lärm verursachten. Etwa zwanzig Schritte trennten uns von unseren nächsten Nachbarn, einer Gruppe von Kriegsknechten, die sich um ein Feuer niedergelassen hatten, reichlich Met tranken und sich mit großem Geschrei und Gezänk einem Würfelspiel hingaben.
Hartmann band unsere Pferde an einen Baum und rollte seine Schlafmatte aus.
„Nun wird es Zeit, dass du dich nützlich machst, mein junger Edelknappe – nicht, dass du bisher unnütz gewesen wärst“, fügte er versöhnlich hinzu. „Mach Feuer und bau das
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