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Die Tränen der Vila

Die Tränen der Vila

Titel: Die Tränen der Vila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jaedtke
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Handlung zum Alltag übergegangen waren. Einige bereiteten Mahlzeiten, nicht wenige tranken schon wieder reichlich Wein, und als ich an einem Planwagen vorbeikam, hörte ich aus dem Innern Frauenstimmen. Gerade, als ich vorbeiging, kletterte ein Mann aus einem seitlichen Einstieg, ordnete seine Kleider und schnürte seinen Gürtel. Offensichtlich – denn nur diese Erklärung kam in Frage – befanden sich Trosshuren in dem Wagen, mit denen sich einige Gottesstreiter vor dem Beginn des Feldzugs noch einmal vergnügen wollten.
    Ich gelangte zum Bach, füllte die Flasche und versuchte den Rückweg abzukürzen, indem ich das Lager im Norden umrundete. Dies bereute ich jedoch rasch, denn hier hatten sich Menschen niedergelassen, die sichtlich nicht zum Gefolge irgendeines Herrn gehörten. Unter ihnen waren zwielichtige Gestalten in schmutzigen Kleidern, die miteinander tuschelten oder mit wachsamen Augen in die Menge spähten. Fast jeder trug einen abgewetzten Dolch im Gürtel, und viele hatten Narben auf Händen und Gesichtern. Wie es schien, hatten sich im Gefolge des Kreuzzugs nicht nur Bauern eingefunden, sondern auch Gesetzlose – und ich fragte mich, ob sie wohl gekommen waren, um Vergebung für ihre Sünden zu erlangen oder um zur Abwechslung mit kirchlichem Segen rauben und plündern zu dürfen.
    Als ich mich eben beeilte, diesen Teil des Lagers hinter mir zu lassen, packte mich jemand an der Schulter. Erschrocken fuhr ich herum und starrte in ein hageres Gesicht mit hellen Augen und schütterem Kinnbart.
    „Odo?“
    Dem ersten Erschrecken folgte ein zweites, als ich das Gesicht des Mannes erkannte. Jahrelang hatte ich in seiner Nähe verbracht und sogar im selben Raum mit ihm geschlafen, allerdings stets darauf geachtet, ihm nicht zu nahe zu kommen. Immer hatte ich ihn gefürchtet, und seit meiner Flucht aus den Wäldern bei Hermannsburg hatte ich gehofft, ihn niemals wiederzusehen. Und nun war er es – ausgerechnet er –, der dem Gericht entgangen war und lebendig vor mir stand.
    „Herbort?“, flüsterte ich und hoffte, dass er das Beben meiner Stimme der Überraschung zuschrieb.
    „Unser kleiner Odo!“, sagte Herbort und blickte staunend an mir herab. „Also hat der Herrgott auch dir Leben und Freiheit bewahrt. Groß bist du geworden – und so stattlich gekleidet!“ Er musterte meinen nagelneuen Sarrock. „Man könnte meinen, du dienst einem Edelmann.“
    „Einem Ritter“, sagte ich in dem Bestreben, meinen Herrn wie einen Schutzschild zwischen mich und diesen Schatten meiner Vergangenheit zu bringen.
    „Sieh an“, sagte Herbort gedehnt, wobei seine Augen tückisch blitzten. „Klein-Odo ist Knappe geworden und trägt einem Freiherrn den Schild. Weiß er, was du zuvor gewesen bist?“
    Ich wand mich unbehaglich. „Ich muss zu ihm“, wich ich schließlich aus. „Er hat mir geboten, ihm Wasser zu holen.“
    „Aber du wirst doch ein wenig Zeit für einen alten Freund haben!“, mahnte Herbort, griff mich beim Ärmel und zog mich zum Rand des Lagers in den Schatten der Bäume. Vor Furcht wagte ich nicht, mich zu wehren, obwohl der feste Griff seiner schmalen Finger mir höchst unangenehm war. Unwillkürlich erinnerte ich mich, wie er einst einem wendischen Bauern die Kehle durchschnitten hatte, und konnte nicht verhindern, dass ich zitterte.
    Herborts schmallippiges Grinsen wurde breiter. „Hast du etwa Angst vor einem alten Freund?“
    Ich antwortete nicht. Der „alte Freund“ war ohne Zweifel eine maßlose Übertreibung, denn Herbort hatte in Bertolts Bande überhaupt keine Freunde gehabt.
    „Was ist aus den anderen geworden?“, fragte er.
    „Sie wurden alle gehängt“, antwortete ich heiser. „Ich habe sie am Galgen gesehen.“
    „Wie bist du entkommen?“
    „Hildegard gab mir das Pferd und hieß mich fortreiten.“
    „Soso. Und wie kommt es, dass du einem Edelmann dienst?“
    „Er sprach mich auf der Landstraße an.“
    Herborts Augen verengten sich, als prüfe er die Wahrheit meiner Worte. „Und sicher möchtest du nicht, dass er von deiner Vergangenheit erfährt, oder?“
    Ich starrte ihn an, erriet mühelos die Drohung in seinen Worten und fragte mich, welche Gegenleistung er wohl für die Wahrung meines Geheimnisses verlangen würde.
    „Hat er Geld?“, fragte er.
    „O nein, er ist ein armer Ritter ohne Land“, beteuerte ich.
    Herbort grinste. „Du lügst.“
    Ich senkte den Blick – und erkannte einen Augenblick zu spät, dass er diese Geste als Eingeständnis werten

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