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Die Tränen der Vila

Die Tränen der Vila

Titel: Die Tränen der Vila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jaedtke
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die Lücke zwischen diesen beiden Bäumen!“
    Die Männer warfen sich nieder, und auch ich suchte Schutz am Boden.
    „Vielleicht sollten wir das Feuer löschen!“, flüsterte einer. „Vor dem Feuerschein sehen sie unsere Gestalten am deutlichsten.“
    „Aber dann sehen wir selber nichts mehr!“, rief ein anderer. „Sie müssen doch dort drüben ganz in der Nähe sein!“
    „Es ist nur einer, darauf wette ich“, sagte Herbort, der hinter Hartmanns Rücken gekrochen war und gleich ihm ins Dunkel spähte. „Ein einziger Mann mit einem Bogen. Er muss klein und leicht sein und die Gegend kennen, so dass er sich dort draußen sicher bewegen kann. Wären es viele, dann hätten sie uns längst niedergemacht.“
    „Langsam glaube ich, dass du recht hast“, sagte Hartmann.
    „Dann gehen wir doch hinüber und holen ihn uns!“, rief einer der Männer, sprang auf und zog seinen Dolch. Kaum jedoch stand er aufrecht vor dem Feuer, als ein dritter Pfeil die Luft durchschnitt und sich in seinen linken Oberarm bohrte.
    „Zur Hölle!“, brüllte er, mehr vor Wut als vor Schmerz, packte den Pfeilschaft und brach ihn entzwei. „Ich kriege dich, du wendischer Hundesohn!“ Und er stürmte mit erhobenem Dolch an Hartmann vorbei in die Dunkelheit.
    „Nein! Bleib hier!“, schrie mein Herr – doch es war zu spät. Wir hörten, wie die raschen Schritte und das wütende Gebrüll des Mannes sich entfernten. Zehn Herzschläge zählte ich in meiner bebenden Brust, dann ertönte ein lautes Platschen und Gurgeln, und das ferne Wutgebrüll verwandelte sich in ein Geschrei der Todesangst.
    „Helft mir! Ich versinke!“, drang die Stimme des Mannes schwach zu uns herüber.
    Niemand regte sich. Hartmann biss sich auf die Unterlippe, doch auch er wagte sich nicht aus der Deckung hervor. Wer auch immer dem Unglücklichen nachfolgte, würde entweder gleich ihm im Moor versinken oder erschossen werden. Unter entsetzlicher Qual, die derjenigen des Sterbenden kaum nachstand, lauschten wir seinem fernen Geschrei, bis es abbrach und verstummte.
    „Niemand rührt sich vom Fleck!“, befahl Hartmann überflüssigerweise, denn keiner von uns wagte auch nur einen Finger zu rühren. Wir horchten auf jedes Geräusch, hörten jedoch nichts mehr außer dem Knacken des Feuers. Die Zeit verging. Kein weiterer Schrei ertönte, keine Pfeile kamen aus dem Dunkeln herangeschossen, und auch das unheimliche flackernde Licht zeigte sich nicht mehr.
    „Es scheint vorbei zu sein“, flüsterte Hartmann. „Setzt euch auf, wenn ihr wollt – doch keiner sollte stehen, solange es dunkel ist und das Feuer brennt.“
    „Was ist, wenn sie zurückkommen?“, fragte Ordulf. „Oder wenn sie noch immer da drüben sind und abwarten, bis wir uns in Sicherheit wiegen?“
    „Herbort und ich halten Wache“, sagte Hartmann. „Ihr anderen schlaft, sofern ihr könnt.“
    Es wurde die längste und unbehaglichste Nacht, die ich je durchlebt hatte. Kaum einer der Männer schlief, allenfalls unruhig und kurz, so dass ein stetiges Scharren und Wälzen die Stille erfüllte. Auch ich tat kein Auge zu, sondern lauschte in die Dunkelheit hinaus, jeden Moment gewärtig, von neuerlichen Alarmrufen aufgeschreckt zu werden. Das Feuer brannte nieder und war fast verloschen, als Hartmann seinen Wachposten verließ.
    „Ich muss ein wenig schlafen“, sagte er zu mir. „Lös mich ab und geh zu Herbort.“
    Widerwillig gehorchte ich, während er sich am Feuer ausstreckte, und kroch hinüber zum Fuß der Birke. Herbort wandte sich zu mir um, und ich sah das gewohnte, heimtückische Lächeln auf seinem Gesicht. Bewusst setzte ich mich so an den Baum, dass wir in verschiedene Richtungen blickten, und hoffte, dass Hartmann es nicht fertigbringen würde, die Augen zuzumachen. Doch ich wurde enttäuscht, denn schon nach kurzer Zeit schnarchte er.
    „Dein Ritter gefällt mir“, sagte Herbort so leise, dass nur ich ihn hören konnte. „Und mehr noch: Ich scheine ihm auch zu gefallen. Vielleicht wird er früher oder später einsehen, dass ich einen viel besseren Knappen abgebe als du.“
    „Das ist nicht dein Ernst!“, fuhr ich auf. „Wenn er erfährt, wer und was du bist ...“
    „Was bin ich denn?“, fauchte Herbort, zückte blitzschnell seinen Dolch und deutete damit auf meinen Hals. „Sag es mir!“
    Ich war zurückgezuckt, sagte mir jedoch, dass er es nicht wagen würde, mich in Hörweite der anderen Männer tätlich anzugreifen.
    „Ein Halsabschneider!“, flüsterte ich

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