Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tränen der Vila

Die Tränen der Vila

Titel: Die Tränen der Vila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jaedtke
Vom Netzwerk:
wütend.
    „Ganz recht. Und diesem Titel werde ich buchstäbliche Ehre machen, falls der Ritter etwas von meiner Vergangenheit erfährt. Hast du verstanden, Odo? Du wirst den Mund halten, sonst bist du ein toter Mann.“
    „Das würdest du nicht wagen!“
    „Glaubst du?“ Herbort lachte leise. „Im Augenblick fallen unsere Männer wie die Fliegen. Ich könnte es so aussehen lassen, als wenn es der Wende gewesen wäre, der uns verfolgt.“
    Ich verstummte, denn das traute ich ihm ohne jeden Zweifel zu.
    „Also, wenn wir zurück in Sachsen sind, wirst du dem Ritter sagen, dass du dich von ihm trennen willst“, flüsterte Herbort. „Sag ihm, du willst in ein Kloster eintreten; das wird er dir ohne weiteres glauben. Dann kannst du deiner Wege gehen, und ich werde deinen Platz einnehmen und dich nicht weiter behelligen. Wenn du dich aber weigerst oder ihn warnst, wirst du sterben.“
    Ich schwieg, entschlossen, nicht auf seine Drohung einzugehen.
    „Hast du mich verstanden?“, fragte Herbort und hob die Spitze des Dolchs bis unter mein Kinn.
    „He, ihr zwei!“, rief plötzlich einer der Männer am Feuer. „Ihr sollt wachen und nicht plaudern! Könnt ihr nicht still sein, damit wir ein wenig Schlaf bekommen?“
    Herbort ließ seinen Dolch so rasch verschwinden, wie er ihn hervorgezogen hatte.
    „Gute Idee“, sagte er leise zu mir. „Auch ich werde ein wenig schlafen – und zwar neben deinem Ritter, damit du nicht auf dumme Gedanken kommst.“
    Und mit einem letzten boshaften Grinsen huschte er von meiner Seite und kroch zum Feuer hinüber, um sich neben Hartmann auszustrecken.
    Ich blieb allein zurück, einerseits froh, ihn los zu sein, andererseits in tiefster Verwirrung. Bislang hatte ich stets zu wissen geglaubt, auf wessen Seite ich stand und an wen ich mich zu meinem Schutz halten musste. Nun jedoch fühlte ich mich einsamer und unentschlossener denn je. Im Grunde sprach einiges dafür, Herborts Forderung zu erfüllen, denn nachdem ich Hartmann als den Mörder meines Vaters erkannt hatte, lag es mir fern, unter Lebensgefahr um seine Gunst zu streiten. Sollte er sich doch mit Herbort zusammentun, der sich vermutlich von ihm durchfüttern und einkleiden lassen würde, um ihn eines Tages im Schlaf zu erdolchen. Andererseits regte sich nackte Furcht in mir, wenn ich daran dachte, meinen Herrn zu verlieren. Je mehr er unter Herborts Einfluss geriet, desto weniger konnte ich damit rechnen, dass er mich beschützte.
    Das erste Licht des Morgens war fahl und erhellte eine trostlose Landschaft, in der nicht einmal ein zwitschernder Vogel die Sonne begrüßte. Nun konnte ich erkennen, dass unsere kleine Ringburg mitten im Nirgendwo lag, umgeben von Brachflächen aus Binsen und flachen Teichen. Hier und dort ragte ein Busch auf, doch Bäume waren nur wenige zu sehen. Die nächsten waren mehr als hundert Schritte entfernt – etwa in derselben Richtung, aus der in der Nacht die Pfeilschüsse gekommen waren. Allerdings deutete nichts darauf hin, dass irgendein lebendes Wesen sich in der Nähe aufgehalten hatte.
    Hartmann nahm die Umgebung genau in Augenschein und winkte zu meiner Verärgerung ausgerechnet Herbort herbei, um sich seine Wahrnehmungen bestätigen zu lassen.
    „Ist das ein Waldrand dort drüben?“, fragte er, die Augen mit der Hand beschattend.
    „Ohne Zweifel“, sagte Herbort. „Dort muss der Boden sicher sein.“
    „Wie weit mag das sein?“
    „Fünfhundert Schritte, vielleicht sechshundert“, schätzte Herbort.
    „Weit genug in diesem gefahrvollen Gelände“, meinte Hartmann. „Es sei denn, du willst zum zweiten Mal deinen Mut unter Beweis stellen und uns den Weg sichern.“
    „Mit Vergnügen, Herr.“ Herbort grinste.
    „Ihr wollt Euch wirklich dort hinauswagen?“, fragte Ordulf.
    „Es bleibt uns nichts anderes übrig“, beschied Hartmann. „Sollen wir etwa hier sitzen bleiben, bis es wieder Nacht wird und der Todesschütze zurückkommt? Solange es hell ist, können wir zumindest annehmen, dass er sich nicht mehr auf Sichtweite nähern wird.“
    „Und wenn er ein Geist ist?“, fragte Theutbert beklommen.
    Hartmann zuckte mit den Schultern. „Dann haben wir erst recht nichts zu befürchten. Oder hast du schon von einem Geist gehört, der am helllichten Tag umgeht?“
    Dies überzeugte auch die Abergläubischen, und so sichteten wir unser Gepäck und bereiteten den Aufbruch vor. Unsere Fleischvorräte mussten wir größtenteils zurücklassen, da keine Hoffnung mehr bestand, in

Weitere Kostenlose Bücher