Die Tränen der Vila
Die Männer aßen mit düster gesenkten Blicken.
„Wir sollten ein Gebet sprechen“, sagte einer von ihnen. „Wir danken Gott, dass er unser Leben erhalten hat, und bitten ihn, uns aus diesem Schreckensland heraus und in unsere Heimat zurückzuführen.“
Die Übrigen wiederholten murmelnd seine Worte.
Kaum hatten sie geendet, ertönte ein entsetzliches Geräusch: ein langgezogenes, schrilles Wehklagen von unmenschlicher Höhe wie das Geheul eines wilden Tieres. Ich fühlte, wie ein Schauder mir den Nacken hinabkroch, und sämtliche Männer zuckten zusammen und spähten mit geweiteten Augen in die Dunkelheit.
„Heilige Maria, Muttergottes, beschütze uns jetzt und in der Stunde unseres Todes“, flüsterte Theutbert.
„Was war das?“, rief einer der Männer. „Ein Wolf?“
„Klang eher wie ein Vogel“, meinte ein anderer, allerdings mit geringer Überzeugung und sichtlicher Mühe, das Zittern seiner Stimme zu verbergen.
„Da drüben ist ein Licht!“, rief ein dritter und sprang auf die Füße. Nun erhob sich auch Hartmann, und gemeinsam starrten sie in die Finsternis hinaus, während der Rest der Gruppe sich furchtsam hinter ihnen sammelte. Auch ich blickte über Hartmanns Schulter, war mir jedoch nicht sicher, was ich sah. Tatsächlich schien in einiger Entfernung, mindestens hundert Schritte weit draußen im Dunst, ein schwacher Lichtfleck zu glühen. Schon im nächsten Moment verschwand die Erscheinung und ließ nichts als gestaltlose Schwärze zurück. Dann aber erschien das Licht erneut, und diesmal war deutlich ein Flackern wahrzunehmen wie von einer brennenden Kerze.
„Spuklichter!“, flüsterte einer der Männer. „Bestimmt sind es die Geister der beiden Versunkenen – sie kehren wieder, weil wir ihnen nicht geholfen haben!“
„Unsinn!“, versetzte Hartmann ungehalten. „Kein guter Christenmensch kehrt als Geist zurück.“
„Dann sind es vielleicht die Geister der Wenden, die wir getötet haben“, meinte Theutbert mit angstbebender Stimme.
„Sei still!“, knurrte Ordulf wütend.
Das Licht erlosch. Keiner von uns rührte sich. Alle spähten weiter hinaus in der Erwartung, die Flamme an einer anderen Stelle erneut auftauchen zu sehen. Doch nichts geschah, und am Ende wandte Hartmann sich um und ließ sich wieder am Feuer nieder. Auch die anderen Männer zogen sich zurück; lediglich jener, der das Licht als Erster entdeckt hatte, blieb stehen und stützte sich an den Stamm einer der Birken.
„Setz dich, Willem“, sagte einer seiner Kameraden. „Was immer es ist, mach es nicht auf dich aufmerksam!“
Der Angesprochene wandte sich um, und in seinem Gesicht stand die nackte Angst. „Ich war es, der den Jungen aufgeknüpft hat“, stieß er mit rauher Stimme hervor. „Den Wendenjungen – an der großen Eiche im Dorf.“
Stumm starrten alle ihn an.
„Jeder von uns hat mitgetan“, sagte einer und zuckte mit den Achseln. „Ich habe den alten Mann aufgeschlitzt, und bei Gott, der Heide hatte es nicht anders verdient! Komm schon, Willem, setz dich.“
Willem öffnete den Mund, um etwas zu sagen – doch seine Lippen erstarrten, denn im gleichen Moment durchschnitt ein scharfes Sirren die Luft, und ein Zucken durchlief seinen Körper. Sein härener Kittel beulte sich über der Brust, dann platzte der Stoff, und die eiserne Spitze eines Pfeils trat hervor. Mit einem Ausdruck ungläubigen Staunens blickte der Mann an sich hinab, während ein Blutstrom seine Kleider verfärbte. Die Pfeilspitze hob und senkte sich im Rhythmus seines Atems.
Alle schrien gleichzeitig auf, und mehrere Männer sprangen hinzu, um den Unglücklichen aufzufangen, als er langsam in die Knie ging. Hartmann zog sein Schwert, ergriff mit der anderen Hand einen brennenden Ast und hielt ihn wie eine Fackel in die Höhe.
„Tod und Teufel!“, stieß er hervor, drehte sich um sich selbst und spähte in die Dunkelheit hinaus.
Inzwischen war Willem in den Armen seiner Kameraden zu Boden gesunken. Seine Augenlider flatterten, dann trat Blut auf seine Lippen. Schließlich erschlaffte sein Körper. Einer der Männer blickte zu Hartmann auf und schüttelte den Kopf.
„Er ist tot.“
„Schafft ihn beiseite!“, befahl Hartmann und trat hinter den Baum, an dem Willem gestanden hatte. Vorsichtig streckte er den Kopf nach draußen – und fuhr zurück, als ein zweiter Pfeil heranzischte, in den Stamm der Birke schlug und zitternd steckenblieb.
„Hinunter!“, schrie er. „Geht in Deckung! Sie zielen auf
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