Die Traenen Des Drachen
als wolle es bald aufhören!«
Karain blinzelte in den weißen Himmel empor und atmete schwer. Die Schneeflocken kitzelten seine Nase. Als er seine Beine bewegte, spürte er, dass sich Kirgit unter die Decke gekuschelt und ihren Kopf auf seinen Schoß gelegt hatte. Karain wischte den Schnee von ihr, und zwei schmale Augen lächelten ihn an.
Er sprang zu den Waldgeistern hinunter. Bile und Vile hatten unter dem Wagen Schutz gesucht. Bul hatte es irgendwie geschafft, auf den Rücken des Pferdes zu klettern. Er hockte da und bürstete den Schnee aus der verfilzten Mähne des Tieres, das traurig in den Wintermorgen wieherte.
»Wir bräuchten einen Schlitten.« Loke zog seinen Ärmel hoch und maß die Tiefe des Schnees am Rad. »Wenn das so weiterschneit, wird sich der Wagen festfahren. Nicht dass ich so viel Erfahrung hätte, aber…«
Er blinzelte wieder zu den Wolken hoch.
Karain hockte sich neben ihm hin. Die Schneedecke erreichte schon fast die Achse des Wagens. Das Pferd würde ihn kaum ziehen können. Und außerdem benötigte das Tier alle seine Kräfte, um der Kälte zu widerstehen. Er warf einen Blick über die Schulter. Das Pferd schüttelte den Schnee von seinem Rücken, während, sich Bul krampfhaft an seiner Mähne festklammerte.
»Und die Gegend hier kenne ich auch nicht.« Loke schnäuzte sich in seinen Bart. »Ich weiß nur, dass wir nach Norden müssen, um die Wurzel zu finden. Aber keiner von uns wird es mehrere Tage ohne Essen in dieser Einöde aushalten. Wenn doch nur ein Wald in der Nähe wäre!«
»Hier gibt es nicht einen einzigen Baum bis zum Westwald!« Kirgit legte ihre Arme auf den Wagenrand. »Aber die Felsenburg ist drei Tagesritte von Krett entfernt. Drei Tage im Sommer.«
Sie schob sich die Haare hinter die Ohren und stand auf.
»Da«, sagte sie und zeigte ins Schneegestöber. »Die Richtung, glaube ich.«
»Glaube?« Loke trat einen Schritt in den Schnee hinaus. Karain sah die Furchen auf seiner Stirn. »Wir haben einen Wirklich Wichtigen Auftrag. Wir müssen wissen, nicht glauben!«
»Richtig.« Bul nutzte die Gelegenheit, Einigkeit mit seinem Meister zu zeigen, während er hoch über ihnen rittlings auf dem Pferd thronte. »Glauben reicht nicht.«
»Vater hat mir das erzählt.« Kirgit stemmte die Hände in die Hüften und warf den Kopf in den Nacken. »Er war oft in Krett. Wir verachten die Kretter, aber sie haben Waren, die wir benötigen.«
»Waren?« Bul kratzte sich am Bart. Er verstand sicher den Zusammenhang nicht, dachte Karain.
»Ich finde, Karain soll entscheiden«, sagte Loke. »Er hat uns bislang so gut geholfen, mit dem Boottier und allem. Und ich bin nicht so dumm, nicht zu bemerken, dass er etwas Großes in sich trägt. Er hat von den Vögeln die Gabe der Verwandlung bekommen.«
Karain spürte Kirgits Hand auf seiner Schulter.
»Vogelmann…«, flüsterte sie ihm ins Ohr.
Wieder dieser Name! Vogelmann? Nannte sie ihn so, weil Federn aus seiner Haut wuchsen? So, wie er aussah, war es nicht verwunderlich, dass sie einen Spitznamen für ihn suchte, doch sie schien diesen Namen irgendwie schon länger zu kennen und kein bisschen im Zweifel zu sein, dass das sein Name sein musste.
»Was meinst du, Karain?« Loke blickte mit zusammengekniffenen Augen ins Schneegestöber. »Was sollen wir tun? Welchen Weg sollen wir nehmen? Entscheide du!«
Karain wartete, bis Kirgit ihn losließ. Dann bewegte er sich vom Wagen fort. Er schüttelte seine Schultern und bürstete sich den Schnee von seinen Ärmeln. Die Federn stellten sich auf, wenn er seine Krallen bewegte.
»Wir können nicht zu den Krettern zurückgehen«, begann er.
»Doch, wir können die Stadt in Schutt und Asche legen!« Kirgit lachte und warf die Decke ab. Sie stand auf und hüpfte mit Kriegsgeheul durch den Schnee.
»Wir holen meinen Vater und dann jagt er sie aufs Meer hinaus! Ja, wartet nur, bis er zu hören bekommt, dass sie mich auf dem Scheiterhaufen verbrennen wollten!«
Sie ballte ihre Faust, streckte sie nach Süden in den Himmel und rief etwas, das Karain nicht verstand. Der Gedanke an diese unbekannte Burg und die Idee, nach Krett zurückzukehren, um Rache zu nehmen, kamen für ihn so plötzlich.
»Deinen Vater holen? Aber dafür müssen wir…«
»Zur Felsenburg!« Kirgit drehte sich, die Hände in die Hüften gestemmt, im Kreis. Sie erinnerte ihn an die Frauen in Krugant, wenn sie im Sommer im Hafen tanzten.
»Wir haben keine Zeit, uns in die Streitereien der Hässlinge einzumischen!«
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