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Die Traenen Des Drachen

Titel: Die Traenen Des Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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Geschöpfe. Auch wenn es jederzeit so aussah, als würden sie unter ihrer Last zusammenbrechen, stapften sie unbeirrt im immer gleichen Tempo weiter.
    Er wischte sich den Schnee vom Kopf und strich dem Pferd über den Rücken. Der Atem hing weiß vor den Nüstern des schweren Tieres. Dann fuhr er mit seiner Hand über das Maul des Pferdes. Es durfte nicht nass werden, denn dann würde der Schweiß gefrieren, wenn sie rasteten. Sie hatten ihm das Zaumzeug abgenommen, damit es nicht in den Mundwinkeln festfror, aber trotzdem folgte ihnen das Tier. Auf dem Rücken hatte es einen weißen, etwa schildgroßen Fleck, doch ansonsten war es braun. Am Rande des Flecks waren kleine, braune Punkte, wie Nägel am Rande des Schildes.
    »Ich glaube, ich werde dich Schildmann nennen«, sagte Karain und fuhr mit seinen Krallenfingern über den runden Fleck. »Ich habe keine Ahnung, wie dich die Kretter genannt haben, aber jetzt, da du mit uns reist, sollst du einen neuen Namen bekommen.«
    Namen… Er dachte nach. Vielleicht benötigte er selbst einen Namen für seine neue Gestalt? Die Kelsmänner hatten einen Krieger mit Namen »Schwarzfeder«. Das würde ihm jetzt gerecht werden. Doch was hatte Vater ihm über seinen Namen erzählt? Sein Großvater hatte zu Lebzeiten den gleichen Namen getragen, es war ein Wort, das der alten kelsischen Sprache entstammte. »Kar« stand für Krieger und »ain« für fremd. Er erinnerte sich so genau daran, da Vater seinen Namen immer heranzog, um ihnen den Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Worten klarzumachen. Eine fremde Frau würde auf Kelsisch »Kirien« heißen, mit »ien« für fremd, denn »Kir« war weiblich. Oder war es umgekehrt? Das mit den Namen war kompliziert, sodass es wohl am besten war, den Namen zu behalten, den er hatte. Außerdem erinnerte der Klang seines Namens ein wenig an den Schrei eines Raben, und das passte ja ganz gut.
    Karain schloss den obersten Knopf seiner Jacke. Er war froh, dass es nicht stürmte. Schon der kleinste Windstoß würde den Neuschnee aufwirbeln und es unmöglich machen, etwas zu sehen. Drei Tagesritte während des Sommers, hatte sie gesagt. Die Fonorer rechneten zwei Tagesmärsche für einen Tagesritt, vorausgesetzt, man ließ die Pferde mittags grasen. Das hieß sechs Tage! Und ein solches Wetter erschwerte die Wanderung noch dazu. Sie mussten wohl mit der doppelten Zeit rechnen, zehn Tage oder mehr. Wie sollten sie das ohne Nahrung schaffen? Wasser gab es in gefrorener Form genug, doch wie lange schafften sie es ohne Nahrung?
    Zu Hause in Krugant war einmal mitten in der Nacht ein Schiff an die Mole getrieben worden. Die Arer, die ganz hinten im Hafen vor Anker lagen, erwachten von dem Kratzen des Schiffsrumpfs auf den Steinen. Sie alarmierten das Stadtheer, und nach allem, was er am nächsten Tag gehört hatte, dauerte es sehr lange, bis die Männer des Muru auf die Mole stürmten, um das Schiff anzuzünden und aufs offene Meer hinauszuschieben. Er wurde von Vater geweckt, und gemeinsam mit seinen Brüdern war er zum Hafen hinuntergerannt, um zuzusehen. Sie waren sich sicher, dass das Schiff die Pest an Bord hatte. Wenn es dem Stadtheer nicht gelang, das Schiff aufs Meer zurückzuschieben, würden die Ratten an Land springen und die Pest verbreiten.
    Aber die Pest war nicht an Bord. Die ausgehungerte Mannschaft hing wie Gespenster über der Reling, bis das Stadtheer sie schließlich an Land trug. Sie waren nur noch Haut und Knochen und so schwach, dass sie nicht mehr stehen konnten.
    Später wurde bekannt, dass das Schiff aus Kajmen stammte, einer Stadt an der Ostküste, die nur eine Tagesreise entfernt lag. Ihr Steuer war gebrochen, als sie auf eine Schäre aufgelaufen waren. Als der Steuermann hinuntertauchte, um den Schaden zu begutachten, entdeckte die Mannschaft, dass ein Haischwarm dem Schiff folgte. Sie wurden über einen Monat mit der Strömung herumgetrieben, doch im Lastraum befand sich bloß Nahrung für zehn Tage. Sie tranken Regenwasser und hungerten. Für einige von ihnen kam jede Hilfe zu spät, als das Schiff endlich im Hafen von Krugant angespült wurde.
    Karain schob zwei Krallenfinger unter die Schulterriemen. Die Holzlast war schwer. Die Splitter bohrten sich in seinen Rücken, zumindest fühlte es sich so an. Er senkte den Kopf und biss die Zähne zusammen. Zehn Tage so weiter, und das ohne Essen. Es würde eine lange Reise werden.
     
    Als das Tageslicht dem Dunkel der Nacht wich und sich die Schneeflocken in

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