Die Traenen Des Drachen
noch schmaler, als er seinen Blick von Karain abwandte und stattdessen den Böttcher ansah.
Karain war bereit, aufzuspringen und sich vor seinen Vater zu stellen, denn sicher würde der Muru jetzt dem Heer den Befehl geben, seinen Vater zu töten. Aber er lächelte nur und legte ihm die Hand auf die Schulter.
»Bis morgen früh muss das bewerkstelligt sein.«
Und Karain hörte, wie sein Vater versprach, das mit dem Dämon schon zu erledigen, auf dass sich keiner mehr Sorgen machen müsse. Nach diesen Worten verließ der Muru den Raum und verschwand gemeinsam mit seinen Soldaten hinter der Straßenecke.
Ich kann euch sagen, Freunde, dass die Reichen in der Stadt ganz und gar nicht die gleiche Meinung über die dämonischen Gerüchte hatten wie der Böttcher. Sie hatten die Geschehnisse am Hafen mitbekommen und sich ihren Teil gedacht. Der Sohn des Böttchers sah ja nun wirklich aus wie einer dieser berüchtigten Dämonen, von denen die Seeleute erzählt hatten. Ein Missgebildeter, dachten sie, ein vom Teufel besessenes Wesen, das unsere Kornlager vernichten, unsere Schiffe versenken und unsere Kunden verscheuchen kann! Der Böttcher war kein mächtiger Mann; niemand würde sich also auflehnen, wenn sie seinen Sohn hängten. Und bei der Furcht, die in der Stadt vor den Dämonen umging, waren ohnehin wohl die meisten Kruginer der Ansicht, dass es besser war, solche Wesen auszumerzen und kein derart hohes Risiko einzugehen.
Früh am nächsten Morgen traf der Böttcher das städtische Heer draußen vor der Tür.
»Der Dämon, der in meinem Sohn gehaust hat, ist tot«, sagte er und hielt eines von Karains blauen Hemden hoch. Er hatte einen Krug mit Ochsenblut, den seine Frau für Blutwurst geholt hatte, über den Stoff gekippt. Der Muru rieb das Hemd zwischen seinen Fingern, roch daran und schien nicht gerade überzeugt zu sein.
»Ich habe ihm die Kehle durchgeschnitten!« Der Böttcher fuhr sich mit dem Finger über den Hals, um seine blutige Handlung zu unterstreichen. »Die Leiche habe ich heute Nacht mit einem Stein um den Hals im Meer versenkt!«
»Ich glaube dir nicht, Fassbinder!« Der Muru musterte ihn aus schmalen Augen und öffnete die Tür hinter ihm. Dann durchsuchte er alle Räume, während die Frau des Böttchers wortlos am Kamin stand. Schließlich trat er wieder nach draußen.
»Ich kann ihn nicht finden, also hast du wohl die Wahrheit gesagt.« Er klopfte dem Böttcher mit dem Zeigefinger auf die Brust.
»Wenn ich aber herausfinde, dass du lügst…«, er zog seinen Dolch eine Handbreit weit aus der Scheide und zeigte ihm die Klinge, »… dann wirst du der Letzte deiner Familie sein, der auf dem Marktplatz stirbt!« Der Böttcher wartete, bis das Stadtheer hinter dem Hügel in der Wirtshausgasse verschwunden war. Dann ging er ins Haus, verriegelte die Tür, schob den Tisch vor den Kamin und klappte den Teppich zur Seite. Er öffnete die Klapptür zum Keller und half Karain nach oben.
Jetzt begann eine schwierige Zeit für die Böttcherfamilie. Tagsüber hielten sie Karain im Verborgenen, und des Nachts mussten sie aufpassen, dass keiner der Nachbarn Karains Stimme hörte. Der Böttcher glaubte, dass sie nur eine Weile warten müssten und dass Karain sicher wieder zum Vorschein kommen durfte, wenn die Menschen diese wahnwitzigen Gerüchte über Dämonen erst einmal vergessen hatten. Aber in ihrem Innern wussten sie alle, dass es nicht so sein würde. Denn Krugant war vollkommen verändert. Die Neuigkeit, dass der Böttcher seinen Sohn getötet hatte, breitete sich wie ein Heuschreckenschwarm über einem Feld aus, und bald sprach niemand mehr von etwas anderem. Manche erzählten, sie hätten gesehen, wie der Böttcher Karain im Stadtbrunnen ertränkt hätte und dass alle, die von diesem Wasser tranken, selbst besessen sein würden. Andere behaupteten, sie hätten Karains Geist während der Nacht durch die Straßen irren sehen und dass sein Körper eine noch üblere Gestalt angenommen habe, mit Insektenbeinen und leuchtenden grünen Augen. Doch alle waren sich sicher, dass die Dämonen jetzt in Krugant waren.
Seeleute ankerten im Hafen und erzählten von schrecklichen Geschöpfen, die sich in den Siedlungen an der Ostküste angesiedelt hätten und ihre Untaten vollbrachten, indem sie vom Geist der Menschen Besitz ergriffen. Ja, die gleichen Seeleute, die die wundersamsten Geschichten aus fernen Ländern erzählt hatten, redeten jetzt von Untergang und Verderben. In Kajman, nördlich von
Weitere Kostenlose Bücher