Die Tränen des Herren (German Edition)
erneute Flehen, schnellstens den Priester mit den Sterbesakramenten kommen zu lassen. „Du wirst wieder gesund!“
„Gesund?! Ich werde niemals mehr gesund!“ rief Philipp de Marigny mit Tränen der Wut. „Ach, diese verdammten Templer sollen alle verrecken! VERRECKEN SOLLEN SIE!!! Wenn ich könnte, würde ich jeden einzelnen von ihnen persönlich zu Tode foltern!!!“
Der Ordensbruder in seinem Verlies fiel ihm ein, und seine Gedanken krallten sich geradezu wollüstig an der Vorstellung diverser Martern fest, denen er ihn unterwerfen wollte.
Ein dezentes Hüsteln. Die Tür war geöffnet worden. „Ehrwürdiger Vater?“ fragte der Kammerdiener vorsichtig.
„Nicht diesen Titel! Ich kann ihn nicht hören!“
„Seine Majestät ist hier.“
„Ich kann niemanden empfangen!“
Doch der König war bereits eingetreten. „Lasst uns allein!“ befahl er den Anwesenden.
Dann neigte er den Kopf zu einem Gruß vor Philipp de Marigny. „Ich erfuhr von Eurem... Unfall. Ich möchte Euch mein aufrichtiges Mitleid aussprechen!“
Der Erzbischof antwortete mit einem gequälten Stöhnen. Er konnte sich denken, dass nicht Nächstenliebe den König zu diesem Besuch veranlasst hatte. Und richtig!
„Ich komme wegen des Templers.“
„Ihr wollt meine Lage ausnutzen!“ dachte Marigny erbost und erwiderte: “Der Templer ist Gefangener der Kirche.“
„Wie geht es ihm?“
„Wie es IHM geht?!“ hätte der Erzbischof beinahe herausgeschrieen. Sein Befinden interessierte den König nicht, aber das Wohlergehen eines verfluchten Gefangenen!
„Er liegt in Ketten, bei Wasser und Brot, wie es das Recht für hartnäckige Ketzer vorsieht.“
„Ich hörte, er sei verwundet. Kümmert sich ein Arzt um ihn?“
„Was wollt Ihr, Sire? Bei allem Respekt, wollt Ihr, dass ich ihn vielleicht in mein Bett tragen lasse?!“
„Dieser Templer ist von außerordentlicher Wichtigkeit für die Krone!“
„Ich bin an das kanonische Recht gebunden, und ich kann -“
König Philipp stützte sich auf das Bett und beugte sich dicht zu dem blassen Gesicht des Erzbischofs.
„Seine Majestät verfügt über nicht genügend Gold, um seine Söldner rechtzeitig zu entlohnen. Aber sein Finanzminister hat die Mittel, sich ein prächtiges Schloss bauen zu lassen! Und die Mittel, seinem Bruder das Erzbistum Sens zu kaufen! Wie kommt das? Es gibt Leute bei Hofe, die sich diese Frage stellen!“
„Nogaret“, dachte der Erzbischof. Das war die Handschrift Nogarets! Dieser dreimal verfluchte Sprössling eines Ketzers hatte ihn angeschwärzt! Nun, dafür würde er bezahlen! Einen besonders widerwärtigen Tod würde er ihm bereiten!
„Wenn ich Euren Bruder wegen Diebstahls an der Staatskasse verhaften lasse, hier, an Eurem Bett, wie würde Euch das gefallen, Ehrwürdiger Vater?“ fuhr der König fort. Seine Stimme war leise und bedrohlich geworden. Und Marigny erkannte, dass dieser besondere Gegner eine Spur zu groß für ihn war, um ihn herauszufordern.
„Gut! Gut, Ihr könnt den verdammten Ketzerbastard haben!!!“
Der König nahm wieder seine gewohnte elegante Haltung ein. „Ihr seid ein einsichtiger Mann, Philipp. Ihr werdet dem Land noch große Dienste erweisen.”
Nachlässig goss der Wächter neues Wasser in die Schalen. Jocelin zog seine heran und trank gierig. Durch den Blutverlust der vergangenen Tage fühlte er sich ausgetrocknet.
Die Schmerzen hatten nachgelassen, und auch die Schwellung seines Gesichts war zurückgegangen, so dass er die Augen wieder öffnen konnte. Doch seine Verzweiflung war nicht geringer geworden. Vielmehr schien sie mit jeder Stunde zu wachsen, wie ein alles verschlingendes Untier ihn aufzuzehren.
Er kroch von der Tür zurück. Eine Welle der Bitterkeit durchflutete ihn, als er sah, wie Komtur Robert sich bekreuzigte und die Hände zum Gebet faltete.
„Wie könnt Ihr noch beten? Wie könnt Ihr noch glauben? Gott hört uns nicht!“
„O doch, er hört uns, und er ist bei uns mit seiner Liebe -“
„Ha! Wo war Euer Gott der Liebe auf den 27 Scheiterhaufen? Hat Gott vielleicht seine Hand ausgestreckt, um die Brüder aus den Flammen zu reißen?“ Jocelins Stimme zitterte vor Erregung. „Ja, ich habe auch gebetet, und gehofft, und gekämpft, ich habe vertraut, dass der Allmächtige das Unrecht nicht siegen lassen kann! Aber er tut es! Wie soll ich an diesen Gott noch glauben, ihn lieben? Wenn er das zulässt, ist er ein grausamer Gott, oder er ist ohne Macht!”
Er verstummte und lehnte stöhnend den
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