Die Tränen des Herren (German Edition)
des bischöflichen Palais vorbei. Augenblicke später stürzten sie in eine kleine Kammer. Pietro di Bologna schrak aus dem Schlaf auf. Ehe er schreien konnte, stopften sie ihm einen Knebel in den Mund.
Er fühlte die Spitze eines Dolches gegen seine Rippen drücken, und eine Stimme zischte ihm zu: “Lauf!”
Er stolperte vorwärts. Sein Herz hämmerte in der Brust.
„Das ist das Ende“, dachte er nur. „Das ist das Ende.“ Die vier Männer schleppten ihn durch einen schmalen Gang an dem stinkenden Abfallgraben vorbei, und durch eine kleine Pforte hinab zum Fluss. Dunst lag über dem Wasser. Irgendwo in der Ferne klangen Ruderschläge. Pietro di Bologna hörte, wie die Männer sich etwas zuflüsterten. Plötzlich wurde er herumgerissen, an den Rand der Kaimauer gestoßen. Nur kurz blitzte die Dolchklinge auf.
Aufregung herrschte unter den wenigen an diesem Morgen versammelten Kommissaren. Der Templer Pietro di Bologna war nicht zum Verhandlungstermin erschienen, und – weit schlimmer – er war überhaupt nicht aufzufinden!
„Er war heute morgen nicht in seiner Kammer“, hatte einer der Waffenknechte zum Rapport gegeben.
„Was soll das heißen?“ fragte Erzbischof Gregor. „Wohin hat man ihn dann gebracht?“
„Ich weiß nicht. Er ist - verschwunden.“
„Vielleicht ist er geflohen?“ schlug der apostolische Notar etwas gelangweilt vor, der sich an diesem Morgen gerade einmal wieder zur Anwesenheit bereit gefunden hatte.
„Nein, das kann ich einfach nicht glauben. Noch gestern Abend habe ich mit ihm gesprochen. Er hat gesagt, nur der Tod könne ihn von der Verteidigung abhalten! Er war entschlossen, bis zum letzten zu kämpfen!“
Gregor von Rouen wurde schlagartig klar, was das hieß. Man hatte seinen Zeugen entführt! Oder ermordet! Unter der Rechtshoheit SEINER Kommission! Die einen wurden verbrannt, die anderen von einem Meuchelmörder beseitigt! Heilige Muttergottes!!! Und wann… würde die Reihe an IHM selbst sein? Gregor von Rouen seufzte resigniert.
„Das Verfahren ist vertagt!“ erklärte er.
Er beschloss, sich zu Ghislaine zu begeben. Wenn sie von Jocelins Tod erfuhr, sollte es nicht durch das Triumphgeschrei Marignys oder die Gerüchte sein.
„Es ist erledigt.“ flüsterte der Mann hinter dem Gitter des Beichtstuhls.
„Ego te absolvo a peccatis tuis, in nomine Patris, et Filii et Spiritui Sancti“, sagte der Priester auf der anderen Seite. Es war Philipp de Marigny. Hastig schob er ein Beutelchen durch das Gitter.
„Das ist der Rest deines Lohnes. Gehe in Frieden, mein Sohn!“
So, Pietro di Bologna war also tot. Nun würde es sich zeigen, ob die Templer noch irgendetwas zu unternehmen wagten! Jetzt war es Zeit für ein wenig Erholung von den Amtsgeschäften... Doch die schien ihm nicht vergönnt, wie er missmutig feststellte, als er den Beichtstuhl Verlies und sich Nogaret gegenüber fand.
„Die Leute bezeichnen die Templer als Märtyrer, wisst Ihr das? Sie haben die Asche von den Scheiterhaufen gesammelt, um sie als Reliquien zu verehren!“
„Die Inquisition wird ihnen das bald austreiben. Lasst sie nur, Sire Guillaume“, antwortete der Erzbischof, demonstrativ mit den Quasten seiner Stola spielend. “Wieso langweilt Ihr mich mit diesen Geschichten? Den Templern ist ein Schlag versetzt, den sie so rasch sicher nicht vergessen! Zumal sie glauben, dass ihr Anführer tot ist...“
Nogaret neigte den Kopf, als habe er sich verhört. Hielt der Erzbischof ihn zum Narren? „Was heißt ‚sie glauben‘? Ist er denn nicht tot?“
„Wo denkt Ihr hin, mein lieber Guillaume! Ich werde doch nicht ein so wertvolles Leben auslöschen!“
„Aber ich habe doch mit eigenen Augen gesehen, wie er in die Flammen gestoßen wurde!“
Philipp de Marigny lachte. “Ihr seid zu leichtgläubig! Das war ein toter Söldner, dem man den Ordensmantel umgehängt hatte! O nein, der Komtur der freien Templer liegt im Verlies!“
„Dann übergebt Ihr ihn dem König?“
„Ich weiß, wie viel Seiner Majestät an ihm liegt. Aber nun… Ihr kennt doch die Gesetze. Er ist Gefangener der Kirche.“
„Was wollt Ihr damit sagen?“
„Dass ich eine kleine Summe für meinen Gefangenen haben möchte!“ erklärte der Erzbischof. “Ihr habt ja keine Ahnung, was Sens unsere Familie gekostet hat!“
Guillaume de Nogaret konnte kaum fassen, dass der blässliche Mann mit dem mädchenhaften Lächeln vor ihm zu so etwas fähig war. “Philipp, doch nur aufgrund des Königs sitzt Ihr auf dem
Weitere Kostenlose Bücher