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Die Tränen des Herren (German Edition)

Die Tränen des Herren (German Edition)

Titel: Die Tränen des Herren (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Napp
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könne! Über 500 Entlastungszeugen! Und nun hatte Philipp de Marigny alles zunichte gemacht! Gregor von Rouen ließ den Blick über die Statuen an den Pfeilern der Kapelle wandern. Ihre Konturen begannen in der einbrechenden Nacht zu verschwimmen.
    Obwohl er sich dagegen wehrte, tauchten immer wieder Erinnerungen an Jocelin aus der Dunkelheit auf.
    „Weil Ihr im Ruf steht, die Wahrheit und Gerechtigkeit Gottes mehr zu lieben als das Ansehen bei den Menschen, hatte Jocelin damals in Poitiers zu ihm gesagt. Bis an sein Lebensende würde er diese Worte nicht vergessen! Die Wahrheit ... liebte er die Wahrheit? Er hatte das früher immer von sich geglaubt... Warum ließ er dann zu, dass sie unterdrückt wurde? Mit gespreizten Fingern blieb seine Hand auf den Protokollen  liegen, als müsse er sie schützen. Ja, dort stand die Wahrheit! Philipp de Marigny mochte die Prokuratoren umbringen, aber nicht ihre Worte! Nicht den Beweis ihrer Unschuld! Entschlossen stand Erzbischof Gregor auf, zündete ein paar Kerzen an und begab sich in die Sakristei.
    Er öffnete die Truhe mit dem Altargerät und räumte sie aus. Der Herr würde ihm verzeihen, dass die heiligen Gefäße für kurze Zeit ohne Schutz blieben. Die Wahrheit war ebenso heilig! Er schleppte die Truhe in die Kapelle und schichtete sorgfältig die Protokollreinschriften hinein. Dann eilte er hinaus, nach seinem Kammerdiener rufend. Keuchend kam der alte Mann die Treppe hinab gerannt, im Glauben, ein Unglück sei geschehen.
    „Lasst meine Sachen zusammenpacken und die Pferde satteln!” befahl Erzbischof Gregor.
    „Jetzt, um diese Stunde?“ fragte der Diener ungläubig.
    „Ja, sofort! Wir reisen nach Avignon zum Heiligen Vater!”
    Das Wegkreuz von Fontainebleau schälte sich aus dem Morgendunst. Die ganze Nacht über waren die Brüder gewandert, um bei Tagesanbruch im Schutz ihres alten Verstecks zu sein. Jean de Saint-Florent und Ranulf gingen voraus in Richtung der verborgenen Höhle. Denn wer konnte sagen, ob sich nicht unterdessen Zigeuner oder Räubergesindel hier eingenistet hatten?! Ein paar Zweige der Büsche waren abgeknickt, vor noch nicht allzu langer Zeit; die Bruchstellen waren noch frisch. Ein Tier oder -?
    Plötzlich war es Ranulf, als habe er etwas gehört. Geduckt schlich er die wenigen Schritte, bis sich die Steinwände zum Kessel weiteten. Sein vorsichtiger Blick erfasste einen barfüßigen, in Lumpen gekleideten Mann.
    „Unsere Höhle ist entdeckt!“ flüsterte er seinem Begleiter zu. „Was jetzt?“
    Bruder Jean pirschte sich an seine Seite und sah ebenfalls auf den Eindringling. Da löste sich ein großer Kiesel aus der Wand, an die Ranulf sich lehnte. Der Aufschlag schien überlaut. Erschrocken erstarrten die beiden Ordensbrüder. Der zerlumpte Fremde fuhr herum, stürzte sich auf das verräterische Geräusch. Bruder Jean zog sein Schwert, holte aus - und verhielt so abrupt wie der Fremde. Überrascht starrten sich drei Augenpaare an. Ranulf fand als erster die Sprache wieder.
    „Großer Gott! Sire Raimond!“ rief er. „Was macht Ihr denn hier?“
    „Ich habe auf Euch gewartet.“ Der ehemalige Ordensritter strich seine langen Haarsträhnen hinter die Ohren.
    „Wie lang seid Ihr schon hier?“
    „Eine Woche, vielleicht. Ich war in Paris, zuvor. Ich wollte vor der Kommission aussagen. Es hieß ja, dass jeder gehört werden soll... Ich habe die Hinrichtung gesehen… Und... wie sie Komtur Jocelin ins Feuer gestoßen habe. Da bin ich davongerannt. Ich wusste nicht, wo ich hinsollte - außer nach Fontainebleau. Ich habe gehofft, dass Ihr zurückkommt…“
    „Nun, das sind wir!“
    Bruder Jean klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter; vergangene Querelen aufzuwärmen war jetzt wirklich nicht der Zeitpunkt! „Ranulf, gib den anderen Bescheid! Der verlorene Sohn ist zurück!“
    Schon lastete sommerliche Hitze über der Provence. Der Wind trieb eine feuchte, schwere Luft durch Avignon. Unter gewöhnlichen Umständen wäre Papst Clemens in diesen Wochen in kühlere Gefilde des nördlichen Frankreich umgezogen. Doch er wollte eine allzu große Nähe zu König Philipp um jeden Preis vermeiden. Der Preis, das war seine sich mit jedem Tag verschlechternde Gesundheit. Krämpfe und Übelkeit plagten ihn, und er hatte das Gefühl, dass sein Inneres sich langsam auflöste wie ein Lehmklumpen in Wasser. Er sehnte sich nach Ruhe, doch selbst in den Stunden, da er ohne Schmerzen war, raubten ihm Botschaften den Frieden. Am Morgen hatte man

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