Die Tränen des Herren (German Edition)
geben...“
Gregor von Rouen sammelte Kraft, um zu sprechen. Er hätte Ghislaine diese Einzelheiten gern erspart. „Erzbischof Philipp hat ihn verbrennen lassen.“
„Ich will fort, fort!“ flüsterte sie. „Ich kann das alles hier nicht mehr ertragen!“
Erzbischof Gregor legte die Arme um seine Nichte und lauschte dem Krächzen der Raben, die draußen vorbei flogen. Die Natur selbst hatte ein Totenkonzert angestimmt; das Ende von Allem schien ihm so nah, greifbar nah. War es möglich, dass sie tatsächlich das Finale aller Zeiten erlebten und Zeugen des Untergangs der Welt wurden? Wenn ja, fragte sich Gregor von Rouen, wer von ihnen würde dann zum Tisch Christi geladen werden?
Abenddämmerung senkte sich über das königliche Palais auf der Ile de la Cité.
„Euer Majestät, der Templer ist hier“, hatte man soeben Seiner Majestät mitgeteilt. „Richtet ihn ordentlich her“, wies Philipp an. „Er soll merken, dass ich ihm nicht übel gesonnen bin! Und dann bringt ihn in mein privates Gemach! Achtet darauf, dass niemand ihn sieht!“
Eine knappe Stunde später wurde Jocelin vor den König geführt.
„Wie ich sehe, tragt Ihr noch immer dieses verabscheuungswürdige Gewand“, kommentierte Philipp emotionslos, während seine Hand mit dem königlichen Ring über die Tischplatte strich.
Jocelin dachte an Arnaud, Komtur Robert, an all seine Brüder, von denen er nicht einmal wusste, ob sie noch am Leben waren, und betete um Kraft. „Es ist das Gewand des Ordens, in dem ich meine Profess geleistet habe. Ich halte ihm die Treue.“
Der König nahm die Antwort hin, ohne eine Regung zu zeigen. „Kommt näher", befahl er. Jocelin trat in den Lichtkreis des Kronleuchters.
„Es gibt nicht viele Männer, die wagen würden, was Ihr gewagt habt. Sich dem Papst und dem König entgegenzustellen...”
„Ich habe nur gekämpft, dass meinen Brüdern ein Recht zuteil wird, das nicht einmal einem Verbrecher verweigert wird! Wir sind keine Häretiker!”
Der König hob die Hand. „Ruhig, mein junger Bruder“, sagte er als wolle er einen seiner Jagdhunde beruhigen. ”Ich weiß, dass Euer Orden unschuldig ist. Und ich verlange kein Bekenntnis der Ketzerei von Euch.”
Jocelin wankte vor Schwäche und Entsetzen. Endlich hatte er aus Philipps eigenem Mund gehört, was er und seine Brüder immer geargwöhnt hatten. Der König wusste, dass die Templer schuldlos waren! Und trotzdem, trotzdem -!
„Alles, was ich will, sind die Namen Eurer Helfer!”
Als Jocelin schwieg, fuhr Philipp fort:
„Bedenkt, Ihr habt mir zu verdanken, dass Ihr frei von Ketten seid, gebadet und rasiert, dass ein Arzt Euch versorgt hat. Mir liegt nichts an Eurem Leid oder Eurem Tod. Mir läge im Grunde nicht einmal etwas an Eurem Orden, wenn er sich nicht als ein so bornierter, rückwärtsgewandter Stolperstein für die Zukunft dieses Königreiches erwiesen hätte…”
Philipp erhob sich. Der weite Königsmantel bauschte sich in reichen Falten um seine Füße. „Ihr könnt reden - und leben, oder schweigen - und leiden. Ihr wisst, wie die Inquisition mit Euren Brüdern verfahren ist. Hofft nicht, dass der Papst sich für Euch verwendet, oder dass Eure Brüder Euch befreien. Sie halten Euch für tot. Ich kann Euch foltern lassen, dass Ihr wirklich wünschen werdet, lieber tot zu sein, aber ich werde zu verhindern wissen, dass Ihr sterbt! Ich kann Euch aber auch begnadigen, Euch einen Posten als Kastellan und eine Pension geben. Ihr könnt wählen, Templer!“
Als der Ordensbruder weiterhin schwieg, griff König Philipp nach der Glocke, um den Bewaffneten zu läuten.
„Ihr werdet reden“, sagte er. „Und wenn nicht heute, dann in einer Woche oder in einen Monat…“
Und dann würde es endlich Zeit sein, die letzten freien Templer und ihre Unterstützer zur Strecke zu bringen! Wenn diese Brut mit der Wurzel ausgerissen und vertilgt war, würde er sich endlich wieder den Dingen seines Königreichs widmen können, die schon so lange seiner Sorge harrten!
Erzbischof Gregor war zurückgekehrt nach Paris und hatte sich in die Kapelle des Bischofspalastes begeben, an den Ort, an dem die Kommissare über Monate hinweg versucht hatten, der Wahrheit auf den Grund zu gehen. Nachdenklich, fast wehmütig glitt seine Hand über die sorgfältig versiegelten Reinschriften der Protokolle. Wie verheißungsvoll hatte vor knapp vier Wochen die Verhandlung begonnen! Es hatte geschienen, als ob nichts mehr den Beweis der Unschuld beeinträchtigen
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