Die Tränen des Herren (German Edition)
nicht viel Kunstfertigkeit gekostet, sie zu seiner Mätresse zu machen. Er zog Reithosen aus feinen, weichen Leder an, dann ein Wams mit weiten Ärmeln nach der neuesten Mode. Ein schwarzes Samtbarett vervollständigte das weltliche Gewand. Prüfend betrachtete er sich im Spiegel. Gewiss, die Aufmachung würde ihr gefallen. Zuletzt bediente er sich noch aus dem kleinen Parfümflacon, das er sich aus Konstantinopel hatte mitbringen lassen. Die Frau hatte ihm mehrmals geklagt, wie sehr sie den Ledergeruch ihres Mannes hasste!
Die Glocken von Notre Dame läuteten die neunte Stunde. Der Schuster würde also noch einige Zeit in seiner Werkstatt zu tun haben.
An seinem Ziel angelangt empfing Philipp de Marigny die kleine Dienstmagd, die einzige Mitwisserin.
„Die Herrin ist noch auf dem Markt“, erklärte sie. „Soll ich Euch schon in ihre Kammer bringen?“
Etwas ungehalten willigte der Erzbischof ein und folgte der Magd über die Außentreppe in den hinteren Teil des Hauses. Die Kammer lag im obersten Stockwerk. Ein kleines Fenster gab den Blick auf die dahinter liegende Stadtmauer frei. Seufzend sah sich Marigny in der kargen Einrichtung um, während die Holzschuhe der Magd wieder nach unten klapperten. Er müsste unbedingt versuchen, seine Mätresse das nächste Mal in den Louvre kommen zu lassen.
Endlich öffnete sich die Tür.
Philipp de Marigny drehte sich lächelnd um - doch nicht seine Geliebte war eingetreten. Ein großer Mann mit dunklen Augen stand vor ihm. Ihr Ehemann?! Nein, sicher nicht, er trug ein Schwert! Himmel, er hob die Waffe gegen ihn! Marigny wich zurück.
„Ich bin der Erzbischof von Sens!“
„Ich weiß“, sagte der Bewaffnete, einen weiteren Schritt näher kommend. Dabei schlug er seinen Reisemantel über die Schulter. Entsetzt starrte Philipp de Marigny auf eine weiße Tunika mit rotem Kreuz.
„Keine Angst, ich werde Euch nicht umbringen, obwohl Ihr es verdient hättet...“
Marigny stieß mit dem Rücken gegen die Wand.
„...ich werde Euch nur von einem Teil befreien, das Ihr nicht für Euren priesterlichen Dienst benötigt!“
Mit einem geschickten Schwertstreich durchtrennte der Templer die Verschnürung von Marignys Reithose. Der Erzbischof kreischte.
„Schreit ruhig, es wird Euch niemand hören! Der Schuster ist mit seiner Frau vor dem Stadtrichter, um sie des Ehebruchs anzuklagen, und die Magd habe ich losgeschickt, Eure Diener zu holen!“
„Tut mir nichts, um Gottes Willen! Ich... ich bezahle Euch! Zweihundert Tournois! Dreihundert, was Ihr wollt!“
„Euer verfluchtes Gold erweckt meine Brüder nicht wieder zum Leben! Eigentlich solltet Ihr mir doch dankbar sein, Ehrwürdiger Vater! Ich bewahre Euch vor noch mehr Sünden!“ Er packte Philipp de Marigny und warf ihn zu Boden.
Die Ordensbrüder hatten beschlossen, sich nach Fontainebleau zurückzuziehen. Sie waren gerade dabei, die Spuren ihres Aufenthaltes in den Katakomben zu verwischen, als sich aus dem Dunkel der Schächte ein Mann näherte. Einen Augenblick später erkannten die Templer ihren Ordensbruder Jean de Saint-Florent.
„Wo wart Ihr?” klangen ihm aufgeregte Stimmen entgegen. „Sagt doch, wo kommt Ihr her?”
Der Angesprochene wehrte die Fragen mit einer Handbewegung ab. Zwei Tage hatte er nur für seine Rache gelebt. Nun, da sie vollzogen war, erschien sie ihm wertlos.
Arnaud hörte, dass der Vermisste zurückgekehrt war. Und irgendetwas hatte Bruder Jean getan... Der alte Templer stellte fest, dass es ihm ganz gleichgültig war. Alles war ihm gleichgültig. Er fühlte sich völlig leer, so als habe Jocelins Tod jegliches Empfinden in ihm ausgelöscht. Die eine Hälfte von ihm war damals gestorben, die andere jetzt. Was zurückgeblieben war, war nur noch ein Schatten Es kostete ihn Mühe, die Lethargie abzuschütteln und die einzelnen Grüppchen einzuteilen, in denen sich die Brüder auf den Weg machen sollten.
Der Erzbischof hatte zwei grauenvolle Tage hinter sich. Er war überzeugt, dass die Qualen der Hölle nicht schlimmer sein konnten. Weinend hatte er in einem Augenblick nach seinem Kaplan verlangt, und im nächsten voller Zorn seine Ärzte angeschrieen, sie seien unfähige Trottel. Beinahe noch mehr als unter den körperlichen Schmerzen litt er unter der Vorstellung, ganz Paris tuschele bereits über sein Unglück. Enguerrand de Marigny, den ein Diener des Erzbischofs geholt hatte, saß am Bett seines Bruders.
„Philipp, du wirst es überstehen!“ antwortete er auf das
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