Die Tränen des Herren (German Edition)
einen Teil der Inhaftierten aus Provins zu befreien, kurz bevor sie in ein anderes Verlies überführt wurden. Zur Freude der Flüchtlinge war ein Geistlicher unter ihnen, Kaplan Helias. Doch für Komtur Renalt war die Hilfe zu spät gekommen... Er war gestorben, kaum dass sie ihren Zufluchtsort erreicht hatten, und ein paar Wochen darauf noch zwei weitere Brüder.
Ranulf hatte sich in Orleans verdingt. Dort an der Dombauhütte hoffte er am ehesten Nachrichten vom Papst zu erhalten. Doch mit dem Schnee schmolz auch die Hoffnung auf den Heiligen Vater dahin. Clemens war krank, und die Kardinäle, denen seine Geschäfte anvertraut waren, Vertraute des Königs. Die Brüder erfuhren, dass die Templer in England und Irland gefangen gesetzt worden waren - trotz aller gegenteiligen Versprechen König Edwards. Auch in der Provence hatten sich die Kerkertüren hinter den Ordensbrüdern geschlossen.
Die Stimmung in Fontainebleau war gespannt.
„Ich sage euch, Papst Clemens rührt keinen Finger für uns!“ rief jemand unvermittelt. „Oder hat er seine Kommission vielleicht schon berufen? Auf seine Hilfe zu warten hat keinen Zweck!”
„Aber der Heilige Vater ist unser einziger Richter!“ widersprach Jocelin. “Nur er kann den Orden retten!“
„Ach, Clemens ist doch ebenso gefangen wie unsere Brüder! Man munkelt überall, dass der König ihn erpresst!“
„Oder er ist ganz einfach zu feige, was zu unternehmen!“
Jocelin musste an den Spielmann denken, dem er im Herbst begegnet war. Wie waren doch dessen Worte gewesen?
‚Der König lässt den Papst tanzen wie eine hölzerne Puppe.‘ Welche Chance hatte Clemens dann überhaupt, dem Orden der Templer die Hilfe zu bieten, die er so nötig brauchte? Jocelin wollte hoffen, wollte glauben, dass sich alles zum Guten wenden würde. Doch in den letzten Wochen war der Zweifel stärker geworden.
„Wie lang wollen wir noch warten, bis wir etwas unternehmen? Bis wir hier verhungern?! Warum reiten wir nicht zu Clemens und zeigen ihm, wie ein Templer zu kämpfen vermag?“ schrie Bruder Raimond.
„Raimond, beherrscht Euch!”
„Zum Teufel! Wenn Ihr zu feige seid, die Waffen zu erheben, dann gehe ich allein!” Er warf den harten Brotkanten auf die Erde und schritt zornig aus der Gemeinschaft der Brüder.
Jocelin wollte ihm nach, doch da stürmte Raimond schon mit einem Freudenschrei zurück.
„Ranulf! Ranulf ist da!“
Fast noch mehr als das unverhoffte Wiedersehen erfreute die Brüder der große Sack, aus dem Ranulf Mehl, Brot, Butter, Käse und sogar einen Schinken zu Tage förderte.
Während er das erste Brot verteilte, berichtete er: „Die Dombauhütte wurde geschlossen. Der Bischof hatte sich wohl etwas zu reichlich aus den Templergütern bedient, und Papst Clemens ließ den Bau einstellen, als er es bemerkte.“
„Dann ist der Papst wieder in Franzien?“
„Seit etwa einer Woche ist er wieder in Poitiers, ja. Die Verhandlungen mit Seiner Majestät sollen auch wieder aufgenommen werden. Aber das wird noch dauern bis nach dem Turnier.“
„Ein Turnier?“
„Anlässlich der Ritterweihe des Thronfolgers in 12 Tagen. König Philipp will ein großes Fest ausrichten mit Kampfspielen und Turnieren Mann gegen Mann. Und seine Majestät ist freigiebig: man sagt, für den Sieger habe er einen Preis von hundert Goldflorins ausgesetzt.“
„Freigiebig! Ha! Mit dem Gold unseres Ordens! Hundert Goldflorins!“ rief Raimond. „Einer von uns sollte reiten und es zurückholen!“
„Was redet Ihr? Keinem Bruder des Tempels ist es gestattet, an einem Turnier teilzunehmen!“ entgegnete Louis.
„Gut, Ihr kennt die Regeln auswendig, was? Und wer will über uns richten, wenn wir uns nicht an jeden Buchstaben halten?! Der Meister sitzt im Kerker und unser Komtur ist tot!“
„Komtur Jocelin -“
„Oh, Ihr könnt Euch auch nur hinter Ihm verstecken, was? Und deshalb werden wir zusehen, wir irgend so ein Schlagetot das Preisgeld kassiert und es dann mit Saufen und Fressen durchbringt!“
„Schluss damit!“ fuhr Jocelin den jungen Ordensbruder an. „Louis hat Recht. Die Regel verbietet es.“
„Ach, WUSSTE ich es doch!“ fauchte Raimond nur.
„Trotzdem wird jemand von uns reiten.“
„Was?“
„Ich. Ich werde für den Tempel antreten.“
Auf Jocelins laute Erklärung folgte überraschtes Schweigen.
„Jocelin, das kannst du nicht“, ergriff Arnaud schließlich das Wort. „Das -“
„Ich weiß, niemand kann mir Dispens erteilen. Ich muss es
Weitere Kostenlose Bücher