Die Tränen des Herren (German Edition)
für einen Sattel nicht reicht!“
Ein junger Ritter auf prächtig aufgeputzten Pferd winkte ihnen zu: „He, Ritter Habenichts, wo wollt Ihr denn hin?“ Der Wind blähte die weiten Ärmel seiner Brokattunika. „Etwa zu dem Turnier? Dann gebt Acht, dass Euch das Gewand nicht vorher vom Leibe fällt!“
Der Spott erntete zustimmendes Lachen von den übrigen Reisenden. In diesem Augenblick lenkte ein älterer Ritter sein Pferd nach vorn. „Sire Francis, Ihr habt die Manieren eines Bauerntölpels!“ tadelte er den jungen Ritter. „Ihr wisst nicht, welches Schicksal diesen Mann ins Unglück gestürzt hat, also hütet Euch zu spotten!“ Jocelin musternd ritt er näher. „Ihr scheint mir ein wirklicher Ritter, kein weibischer Feigling, der Angst hat, sein kostbares Gewand im Kampf zu beschmutzen.“ sagte er mit einem Seitenblick auf den jungen Mann, der zornig sein Pferd herumriss und an den Gaffern vorbeigaloppierte. „Wie ist Euer Name?“
„Jocelin ...von Judäa.“
„Von Judäa?! Gott im Himmel, es ist lange her, dass ich einen Poulain getroffen habe! Ich wünsche Euch von Herzen Glück! - Nun muss ich sehen, dass ich Sire Francis einhole. Er macht nur Dummheiten, wenn ich ihm nicht die Zügel anlege!“
Als sie merkten, dass es nichts mehr zu sehen gab, setzten die anderen Reisenden ihren Weg fort. Nur noch manchmal traf ein neugieriger Blick Jocelin und seine Gefährten.
Am Nachmittag erreichten sie Paris. Die meisten Reisenden wandten sich vor der Porte Saint-Denis nach Westen, wo unter den mächtigen Mauern des Temple die Turnierbanner wehten.
Für Jocelin galt es zunächst jedoch, einen Geldverleiher ausfindig zu machen.
Er und seine beiden Ordensbrüder schlugen die Richtung zur Rue du Temple ein. Irgendwo dort, erinnerte sich Jocelin, hatte zumindest vor einigen Jahren ein lombardischer Kaufmann gewohnt.
Im Oktober vergangenen Jahres war Jocelin denselben Weg in die Stadt gekommen, noch ahnungslos über das Unheil, das den Orden ereilt hatte. Es schien eine Ewigkeit her...
Bruder Louis spähte durch ein Tor in den düsteren Hinterhof.
„Wie wollt Ihr hier jemanden finden, Sire Jocelin?“
„Es ist sicher ein Steinhaus. Man sagte, dass er sehr reich sei. Er ist sogar einmal in offenen Streit mit dem Komtur von Paris getreten...“
„He, wen sucht ihr denn?“ kam eine Stimme aus dem Fenster über ihnen.
„Einen lombardischen Kaufmann!“
„Von denen gibt‘s hier keinen mehr! König Philipp hat sie alle zum Teufel gejagt, diese verfluchten Halsabschneider!“
Louis stieß mit dem Fuß in den Straßendreck. „Was jetzt?“
Ohne Geld gab es keinen Sattel, und ohne Sattel kein Turnier!
„Die Juden“, schlug Arnaud vor.
„Ach, die werden nicht mehr viel haben zum Verleihen nach der letzten Sondersteuer!“
„Trotzdem. Wir versuchen es!“
Eine Mauer trennte das Judenviertel von der übrigen Stadt. Noch vor einigen Jahrzehnten hatte es eine blühende Gemeinde beherbergt.
Aber seit den Bedrückungen durch König Philipp und den Überfällen einer Bevölkerung, die einen Schuldigen für ihr Elend suchte, waren viele Juden ausgewandert. Die Häuser standen leer, und Armut zog in die Gassen ein. Nur in den Arkaden eines einzigen Hofes verrieten aufgestapelte Warenballen einen gewissen Reichtum.
Jocelin wies Louis an, bei Arnaud zu warten, und betrat den Hof. Eine Frau zog zwei am Boden spielende Kinder an sich und flüchtete ins Haus, als sie seiner ansichtig wurde.
Kurz darauf trat ein Mann in mittleren Jahren heraus. Sein Gesicht wirkte abweisend, ja feindselig.
„Was willst du?“
„Ich...bin gekommen, um einen Kredit zu erbitten.“
„Ich soll dir etwas leihen? Du siehst nicht aus, als könntest du je einen Pfennig zurückzahlen! O nein!“
Er drehte sich um. Verzweifelt nach Worten suchend packte Jocelin ihn am Arm. „Wartet! Ich bin ein Ritter, ich werde im Turnier kämpfen! Ich brauche das Geld für einen Sattel! Ich werde Euch alles zurückzahlen, darauf gebe ich mein Wort!“
Der Jude befreite sich aus dem Griff. „Was meinst du, wie viele Christen mir schon ihr Wort gegeben haben, und wie viele es hielten? Ich kann nichts für dich tun, selbst wenn ich wollte. Heute Morgen war der Bischof von Cambrai bei mir und verlangte eine ungeheure Summe. Gott sei‘s geklagt, aber ich werde wohl keine Münze wieder sehen! Und mein Geschäft“, er machte eine Bewegung über die Warenballen, „läuft auch nicht besonders. Die Leute sind zu arm!“
„Wisst Ihr denn
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