Die Tränen des Herren (German Edition)
niemanden, der mir etwas leihen kann?“
„Hier nicht, nein. Aber in Outre-Petite-Pont, bei Sainte-Geneviève soll es einen Verleiher geben, ein Christ, wie man sagt, der sich nicht schert um die Gebote seiner Kirche. Versuch es bei ihm!“
Der triefäugige Wirt beugte sich zu Jocelin und zischte: „Ob ich dir Geld leihe, du Hurensohn? Du weist doch ganz genau, dass die Kirche es verboten hat! Verschwinde!“
Wie um diesen Worten Nachdruck zu verleihen, knurrte ein bösartig aussehender, riesiger Hund hinter der Theke. Jocelin war bereits aus der Schenke, da sagte eine weibliche Stimme: „Du brauchst Geld? Dann komm‘ mit!“
Die Frau führte die Ordensbrüder an den stinkenden Werkstätten der Gerber vorbei in eine weitere düstere Spelunke. Dort wälzten sich zwei Betrunkene im Kampf über den Boden. Ein Fußtritt traf sie in die Seite. „Raus, ihr Schweine!“ brüllte ein breitschultriger Mann, riss die Betrunkenen hoch und beförderte sie mit einem weiteren Tritt vor die Tür.
Dann begrüßte er die Frau mit einem Kuss.
„Wen schleppst du da an, he?“
„Kundschaft für Merot.“
Der Mann zuckte mit den Schultern und schrie in das Halbdunkel der Wirtsstube: „Merot! Merot, zum Teufel, du fauler Sack!“
Eine Holzstiege knarrte, und ein nachlässig gekleideter Mann erschien vor den Ordensbrüdern.
„Du kommst um Geld zu leihen?“ wandte er sich ohne Umschweife an Jocelin. „Wie viel?“
„Genug für einen guten Sattel.“
Merot wog eine Börse in der Hand und nannte eine Summe. „30% Zinsen, wenn du nach einer Woche zahlst, jede Weitere 10% mehr.“
„Das ist Wucher!“ rief Arnaud empört.
„Nun, wenn es dem frommen Bruder nicht passt, behalte ich mein Geld.“ Er entblößte ein schadhaftes Gebiss.
Jocelin starrte auf die Börse. Es war ein ungeheurer Zinssatz! Aber es war die einzige Möglichkeit! Oder sollte er das Turnier aufgeben? Aber... 100 Florins! 100 Florins ihres eigenen Ordens! „Ich akzeptiere.“
Der Wucherer zählte langsam Münze für Münze in Jocelins Hand.
„Du verstehst natürlich, dass ich eine Bürgschaft brauche.“ bemerkte er beiläufig. „Aber ich bin kein Unmensch. Ich verlange nichts, was du nicht hast! Es genügt, wenn einer deiner Begleiter solang bei mir bleibt, bis du zahlst!“
Noch ehe Jocelin etwas erwidern konnte, wurde Louis von zwei Männern gepackt.
„Wir werden ihn sicher verwahren, keine Angst!“
Louis‘ Gesicht verzerrte sich in sprachlosem Entsetzen. Der Gedanke, wieder eingesperrt zu sein, brachte ihn in Panik.
„Ihr könnt ihn nicht hier behalten!“ protestierte Jocelin, doch der Wucherer blieb ungerührt.
Die beiden Männer zogen Louis mit sich fort. Seine Furcht machte sich in einem verzweifelten Schrei Luft: „Bruder Jocelin!“
Die Aufmerksamkeit auch der letzten Wirtshausgäste war erregt. Jocelin meinte von ihren Blicken durchbohrt zu werden. Ihm schwindelte.
Wie aus weiter Ferne hörte er die spöttische Stimme des Wucherers: „Der hat ja mehr Angst, als sollte er in die Hölle! Wir schicken dir ja deinen schwarzberockten Freund!“
Arnaud! Arnaud trug die Mönchskutte! Sie hielten ihn für ‚Bruder Jocelin‘! Mit einem tiefen Atemzug suchte Jocelin dem Zittern seiner Glieder Herr zu werden. Er wagte einen vorsichtigen Blick. Die Gäste lachten. Niemand schien Verdacht geschöpft zu haben. Der Wucherer bedeutete Jocelin und Arnaud zu gehen.
„Und denk daran, je eher du zurückzahlst, desto eher kommt euer Freund zu seiner Beichte!“ rief er ihnen noch hinterher. Sein Lachen, wie das Meckern eines Ziegenbocks, verfolgte sie bis weit auf die Straße.
Die Schausteller gaben eine meisterhafte Darbietung. Klatschen und Jubelschreie brandeten bei jeder grotesken Verrenkung, den Sprüngen und Salti durch die Menge.
In einem weiten Bogen säumten die Zuschauer den Turnierplatz. Selbst auf den Bäumen hockten sie. Es war ein relativ warmer Frühlingstag; nach den letzten Regengüssen rochen die Wiesen und die Erde frisch. Etwas erhöht, im Schatten eines blauen Baldachins, saß König Philipp mit seiner Familie und den engsten Vertrauten. Eine Abteilung Söldner umstand die Tribüne. Seine Majestät war misstrauisch. Da war das Volk, eine brodelnde, unkontrollierbare Masse. Da war der Adel, den die immer strengere Beschneidung seiner Privilegien aufbrachte. Und schließlich - ein Haufen flüchtiger Templer irgendwo in den Wäldern, derer man einfach nicht habhaft wurde!
Ein Fanfarenstoß erklang. Die Köpfe der
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