Die Tränen des Herren (German Edition)
allein verantworten, und das werde ich auch, bis ich Gelegenheit bekomme, um Vergebung zu bitten. Aber wir dürfen uns diese Chance nicht entgehen lassen, nicht in der Situation, in der wir derzeit sind!“
„Aber du, keiner von uns, ist in der Verfassung, ein Turnier zu reiten!“
„Ich habe meine Brüder nicht befreien wollen, damit sie schlimmer als Tiere leben, Arnaud! Der Orden hat mich ausgebildet, und mit dieser Ausbildung werde ich ihm dienen. - Zwölf Tage sind noch Zeit bis zu den ersten Kämpfen, sagst du, Ranulf. Das reicht, um zu Kräften zu kommen und zu trainieren.“
„Dann werde ich dich begleiten“, beschloss Arnaud und erhob sich. „Und die Gelegenheit nutzen, mich ein wenig umzuhören unter den Gästen des Turniers…Einem blinden Bettler wird man keine allzu große Aufmerksamkeit schenken, und ihn nicht sonderlich für voll nehmen.“
„Und ich komme auch mit“, fügte Louis an. „Als Euer Knappe!“
Als Tancred den Kerker betrat, strahlte Freude in Komtur Roberts abgemagerten Zügen auf. Der junge Dominikaner war seit Monaten sein einziger Kontakt zur Welt. Eine seltsame Freundschaft war zwischen den beiden Männern gewachsen. Längst überstieg Tancreds Sorge für den Gefangenen den Auftrag Guillaume Imberts.
„Ich habe einen Balsam mitgebracht, Bruder Robert“, sagte er und begann die Verbände von Roberts Füßen zu lösen.
Die Brandwunden heilten schlecht und brachen immer wieder auf. „Lasst, ich kann selbst-“
„Es macht mir nichts aus!“ erwiderte der junge Mönch mit einem Lächeln. Alles, womit er das Los des Gefangenen erleichtern konnte, sah Tancred als Möglichkeit der Buße für die Taten der Inquisition, die er mehr und mehr verabscheute.
„Wie geht es meinen Brüdern?“ Robert wagte die Frage kaum zu stellen.
„Sie sind am Leben.“
„Am Leben...“ Diese beiden Worte hatten eine ganz neue Bedeutung bekommen in den vergangenen Monaten. Leben, das bedeutete in erster Linie ‚überleben‘: die Verletzungen, die Krankheiten, die Feuchtigkeit des Kerkers, den Hunger, den Durst, die Finsternis. Von einem Tag zum anderen.
„Ist Bruder Pietro di Bologna noch bei ihnen?“
„Der Priester? - Ja.“
„Das ist gut. Er kann den Brüdern beistehen und sie stärken. Ich würde so gern selbst zu ihnen sprechen, sie sehen...“
„Ihr könntet schreiben, Sire“, schlug der junge Dominikaner zögernd vor. Komtur Robert blickte ihn an, einen Moment lang dem verlockenden Angebot erliegend. Dann aber sagte er: „Nein, Bruder Tancred. Ich will dich nicht in Gefahr bringen. - Weißt du etwas von Meister Jacques?“
„Nichts Genaues. Ich hörte, dass er und die übrigen Mitglieder des Obersten Kapitels noch in Corbeil gefangen wären, doch niemand darf zu ihnen. Sie werden streng bewacht. König Philipp fürchtet wohl, dass man sie befreien könnte, so wie es mit den Brüdern von Etampes und einigen anderen Orten geschehen ist.“
„Demnach hat man die Flüchtlinge noch immer nicht aufgegriffen?“ fragte Robert voller Hoffnung. Tancred nickte.
„Gott schütze sie! - Hat Papst Clemens die Kommission schon berufen?“
„Nein. Wahrscheinlich will er damit warten, bis das Turnier vorbei ist. Und dann ist auch bald die Heilige Woche...“
„Das Fest des Leidens und Sterbens unseres Herrn. Und wir dürfen die Sakramente nicht empfangen! Die Messe dürfen wir nicht hören! Mit welchem Recht?!“ Komtur Robert strich über das zerschlissene Kreuz seiner Tunika.
„Unser Orden hat gelobt, für Jesus Christus zu kämpfen, für ihn zu sterben, wie er für uns gestorben ist. Wie kann man glauben, dass wir das heilige Kreuz verleugnen und schmähen?“ Seine verzweifelte Stimme brach und er bedeckte das Gesicht mit den Händen. „Warum hilft Gott uns nicht? Uns, seinen Rittern? Warum rettet er uns nicht vor den Verleumdern?“
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Auf der alten römischen Straße nach Paris herrschte reger Verkehr. Spielleute und Schausteller waren unterwegs, reiche Herren mit stattlichem Gefolge. Inmitten der übermütigen Turnierkämpfer zog eine seltsam anmutende Gruppe der Stadt entgegen: ein Mann in ärmlichen Gewand, ohne Sattel reitend, aber ein Schwert an der Seite, neben dem Pferd ein junger Mann im Bauernkittel mit einer Lanze über der Schulter, und ein blinder Mann im Mönchshabit.
Ein kahlköpfiger Mann fischte eine Münze aus seiner Börse und warf sie Bruder Louis vor die Füße. „Hier, damit sich dein Herr wenigstens etwas Brot kaufen kann, wenn es schon
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