Die Tränen des Herren (German Edition)
Menschen wendeten sich zu den bunten Turnierzelten. Dort zeigten sich die ersten Ritter. Prinz Louis, der am Vortag den Ritterschlag erhalten hatte, war bei ihnen, stolz in seiner glänzenden Rüstung, das Lilienbanner an der Lanze. Neben ihm ritt Charles de Valois, der Bruder des Königs. Gräfin Ghislaine de Montfort ließ die Augen über die Wappen auf den Schilden wandern. Der Graf von Etampes, der Graf von Angers... Auch ihr Gemahl war oft an der Seite der Großen Frankreichs in Turniere geritten. Wie hatte er mit seinen Siegen geprahlt! Und dann war er in Courtrai von einem Bauern erschlagen worden wie ein räudiger Hund. Was half ihm nun sein Ruhm? Der König der Könige würde nach anderem fragen...
Ghislaine blickte sich nach ihrem Sohn um, aber Yvo war nirgends zu sehen. Dabei war sie seinetwegen zu dem Turnier gereist, damit er etwas von den ritterlichen Tugenden lerne. Doch im Grunde, was sollte er hier lernen? Was außer Eitelkeit und Hochmut? Die edlen Ritter, wie sie die Spielleute besangen, gab es wohl nur noch in deren Liedern. Die Gräfin war ärgerlich. Aber sie merkte nicht, wie tief sie in Wahrheit all dieses leere Gepränge verabscheute.
Ein weiterer Fanfarenstoß verkündete das Eintreffen der Herausforderer. An ihrer Spitze ritt ein riesenhafter Mann in schwarzglänzender Rüstung. Er wurde jubelnd begrüßt. Die Ausrufung des Herolds war überflüssig. Jeder kannte Jorge de Fontcalda, oder wurde spätestens jetzt von den Umstehenden aufgeklärt, dass der katalanische Ritter schon an die hundert Turniersiege zu verzeichnen hatte. Den meisten galt es sicher, dass er auch aus diesem Waffengang als Sieger hervorgehen würde. Dem Katalanen folgte ein englischer Baron, die Haare in eine modische Lockentracht gelegt.
Ghislaine de Montfort hielt erneut nach ihrem Sohn Ausschau. Auf der Wiese focht eine Herde Kinder ihr eigenen Turnier. Aber auch dort war Yvo nicht. Ein Raunen unter den Zuschauern lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder zum Kampfplatz.
„Sire Jocelin, Herr von Judäa“, rief der Herold.
Ghislaine de Montfort ertappte sich dabei, wie sie sich reckte um den Ritter sehen zu können, dessen Namen sie noch nie gehört hatte. Seine Rüstung war so schmucklos wie die eines einfachen Söldners. Doch das ungewöhnlichste war der Schild: dort, wo bei den übrigen Rittern prächtige Wappen prangten, zeigte der seinige ein einfach gezeichnetes Marienbild. Der neue Herausforderer lenkte sein Pferd an der Tribüne vorbei, grüßte den König mit einem Senken der Lanze.
Philipps Anblick brannte in Jocelins Augen. König Philipp hatte den Befehl zur Verhaftung der Templer gegeben! Er war schuld an den drei Gräbern im Wald, schuld, dass Bruder Arnaud betteln musste! Am liebsten hätte Jocelin es laut herausgeschrieen…
„….Ihr reitet nicht unter dem Wappen Eurer Familie? Sehr interessant.“ Philipps Stimme klang sanft und klar, gar nicht wie die eines Monsters.
„Die Meinen sind tot, begraben im Sand von Palästina“, erwiderte er, und soweit er wusste, war dies nicht einmal eine Lüge. „Christus ist mir Vater und Maria Mutter.“
„Ein hoher Anspruch. Haltet Ihr das nicht für etwas hochmütig?“
„Ich halte es für demütiger als unter dem Wappen meiner Familie zu reiten und ihren Ruhm zu mehren anstatt den Ruhm Gottes!“
Etwas weiter hinten unter dem Baldachin klatschte Guillaume de Nogaret süffisant in die Hände. Es war genau die Sorte bigotter Reden, die er besonders liebte! Er würde die Summe des heutigen Preisgeldes verwetten, dass der Kerl mit dem Marienschild noch gestern Abend im Badehaus herumgehurt hatte! Es drängte den Siegelbewahrer, irgendetwas in der Art fallen zu lassen, aber da entließ Seine Majestät den Ritter aus Judäa.
Während Prinz Louis einen leichten Waffengang gegen den jungen Herzog der Bretagne wagte, begutachtete Jocelin noch einmal seinen erworbenen Sattel. Es schien gutes Material zu sein, ordentliche Polsterungen, nicht zu harte Gurte, und er saß gut, aber besser einmal zu oft überprüft, als sich beim Kampf Nachteile einzuhandeln - oder Schlimmeres! Der Ordensbruder klopfte seinem Pferd beruhigend auf die Seite, dann noch ein letzter Blick auf die Hufeisen, dass sich auf dem Weg hierher nichts festgetreten hatte...
Aus einem der anderen Zelte klang das Streiten zweier jugendlicher Stimmen. Offenbar hatten sich die Knappen eines Kämpfers in die Haare bekommen. Das klatschende Geräusch einer Ohrfeige bereitete dem Disput ein Ende,
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