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Die Tränen des Herren (German Edition)

Die Tränen des Herren (German Edition)

Titel: Die Tränen des Herren (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Napp
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mächtiges, blühendes Reich sein, dessen Grenzen niemand zu verletzen wagte- und er würde der Herrscher dieses Reiches sein. Philipp IV., Seine allerchristlichste Majestät. Der König war zu aufgeregt um noch liegen zu bleiben. Er erhob sich und schritt zu einem kleinen Tisch, auf dem stets Schreibutensilien bereitlagen.
    Fast zärtlich strich Philipp über ein dicht beschriebenes Pergament, das Original von dutzenden Kopien, die ins ganze Land verschickt worden waren. Obwohl er den Inhalt des Erlasses längst auswendig kannte, las er ihn erneut. Ein wohliges Frösteln überkam ihn bei all den darin geschilderten blasphemischen Ungeheuerlichkeiten. Jede einzelne dieser Zeilen würde Folterungen und Tod auslösen.
    Aber es berührte ihn nicht. Er würde Gold haben, dass war das einzige, was zählte.
    „Und dir verdanke ich das alles, mein lieber Nogaret“, flüsterte Philipp.
    Gott allein - oder wohl eher der Teufel - mochte wissen, warum gerade ER die Sache so eifrig verfolgte! Der König entsann sich, wie sein Siegelbewahrer Nogaret ihm jenen Esquieu de Floyran zum ersten Mal vorgeführt hatte. Der Mann war ein zum Tode verurteilter Verbrecher gewesen. Doch allein die Tatsache, dass er sich nicht mehr im Kerker, sondern hier vor ihm im königlichen Palast befand, hatte Philipp von der Brauchbarkeit Floyrans überzeugt. Keinerlei Furcht war in seinen schwarzen Augen zu erkennen gewesen, als er vor dem Thron niederkniete und sagte: “Ich will Euch ein großen Geheimnis verraten, mein Herr König!“
    Und was für ein kostbares, funkelndes Geheimnis! Philipp lächelte kalt.
    In blendender Nachmittagssonne ritt Jocelin in die Vorstadt St. Nicolas von Paris. Die Siedlung war seit seinem letzten Besuch stark angewachsen und hätte eigentlich einer Mauer bedurft. Dafür fehlte jedoch das Geld. Dicht, als wollten sie sich gegenseitig schützen, drängten sich die Häuser. Schmale Gassen wanden sich zwischen ihnen hindurch. Einige Hühner stakten durch den Schlamm, es stank nach Unrat und Exkrementen. Kaum ein Mensch war zu sehen. Nur ein paar zerlumpte Kinder spielten im Dreck. Als sie Jocelin gewahrten, stoben sie auseinander.
    Plötzlich trat unter einem Torbogen ein Mann hervor und griff ihm beherzt in seine Zügel. Der Ordensbruder erkannte sofort, dass ihm keine wirkliche Gefahr drohte. Der Mann war alt, und außerdem endete sein linkes Bein unterhalb des Knies in einem Holzstock.
    „Ich kann dir nichts geben“, sagte Jocelin so ruhig wie möglich. „Komm in unseren Konvent beim Mittagsläuten! Ich muss weiter!“
    „Ihr werdet nicht weit kommen!“ erwiderte der Mann und sah unruhig um die Ecke. „Überhaupt ein Wunder, wie Ihr bis hierher gekommen seid…“
    „Was redest du für unsinniges Zeug?“ rief Jocelin mit etwas schärferer Stimme, weil der Alte noch immer seine Zügel festhielt.
    In einiger Entfernung klang das Schlagen von Pferdehufen. „Folgt mir, Sire! Ich will Euch nichts Übles, glaubt mir!“
    Jocelin hörte die Angst in der Stimme des Mannes und wandte sich zur Stadtmauer. Hoch über die übrigen Häuser ragte die Klosterfestung der Templer auf. Sicher war Komtur Robert...
    Der junge Ordensbruder brachte den Gedanken nie zu Ende.
    Sein Blick blieb an der Spitze des mächtigen Wehrturmes haften. Dort wehte keine Standarte!
    Der heruntergekommene Alte, der ihn hier aufhielt, mochte verrückt sein, aber irgendetwas stimmte nicht! Mehr seinem Gespür, als einer willentlichen Entscheidung gehorchend ließ sich Jocelin in einen Hof führen. Der Alte schlug hinter ihm das Tor zu und verriegelte es.
    „Was ist hier los, Mann?“
    „König Philipp hat heute Morgen die Templer gefangen  nehmen lassen.“
    „Das ist unmöglich! Der Orden untersteht dem Heiligen Stuhl! Kein weltlicher Fürst kann uns verhaften!“
    „Ich habe sie gesehen, Sire! Den Meister und alle seine Würdenträger, die Ritter und Servienten, wie sie in Ketten zum königlichen Palais geführt wurden! Ich habe sie mit eigenen Augen gesehen!“
    „Du musst dich geirrt haben!“
    Von der Straße her waren Pferde und raues Gelächter zu hören. Fast gleichzeitig drehten sich Jocelin und der Alte zum Tor.
    „Na, hab ich nicht gesagt, dass wir ihn kriegen?“ grölte jemand. „Wolltest du uns entwischen, feiner Herr?“
    Jocelin sprang aus dem Sattel, rannte zum Tor und spähte durch ein Astloch. Sein Blick umfasste das Hinterteil eines gewichtigen Pferdes, dann eine blaue Satteldecke mit Lilienwappen. Königliche Söldner.

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