Die Tränen des Herren (German Edition)
hätten sie bitter nötig...
„Ich... nehme an“, hörte er sich sagen, trotz Arnauds missbilligendem Kopfschütteln.
„Dann seid mir herzlich willkommen, Messire Jocelin! Ihr und...“
„Sire Arnaud, mein... Onkel, Madame.”
Niemand hatte bemerkt, wie ein Mann hinter die Zeltplane gehuscht war. Ein Mann, der begierig die Hand nach Jocelins Schwert ausstreckte. Er zog die Waffe an sich, riss mit vor Erregung zitternden Händen die Klinge aus der Scheide. Und da war, was er gesucht hatte! Nein, es war noch viel besser, als alles, was er gesucht hatte! Kein Wappen, was ihm den rechtmäßigen Besitzer der Waffe genannt hatte, sondern ein Kreuz. Ein kleines eingraviertes Kreuz. Das Ordenskreuz der Templer! Esquieu de Floyran jubelte in tiefer Befriedigung. Ein flüchtiger Templer war er also, der feine Herr von Judäa! Er hatte wohl gedacht zu entkommen... Ha! Wenn er richtig gehört hatte, wollte er bei Gräfin von Montfort unterschlüpfen! Nun gut, einen besseren Ort hätte er nicht wählen können... Nun würde er ihn haben, und sie dazu... Voller grimmiger Freude sah er Ghislaine nach, als sie davon schritt.
„Was hast du dir dabei gedacht? Dich in ihre Dienste zu begeben? Jocelin!“ meinte Arnaud, als er sich wieder mit seinem Ordensbruder allein wusste. “Wir wissen zuwenig über sie. Das kann uns in große Gefahr bringen. Das Beste wäre, wir verlassen so schnell wie möglich das Lager!”
„Das kann ich nicht. Ich habe mein Wort gegeben. Bedenkt doch, Arnaud, wie sehr Zugang zum Hofe uns von Nutzen sein kann!”
„Dennoch! Es ist nicht gut“, betonte der alte Ordensbruder noch einmal. Aber seine Stimme war nur ein matter Widerschein des Aufschreis in seinem Inneren. „Es ist von Übel! Es ist DAS Übel! Kannst du die Gefahr nicht sehen, bei allen Heiligen Gottes?! Muss man blind sein, um es zu sehen?!“ Doch das auszusprechen wagte er nicht.
Noch in der Nacht ritt Jocelin trotz der höllischen Schmerzen in seiner Seite nach Fontainebleau, um seine Kameraden zu benachrichtigen. Sie vereinbarten, dass er zu festgesetzten Tagen an einen Treffpunkt kommen sollte, um die Neuigkeiten auszutauschen. Bei Morgengrauen war er wieder im Turnierlager.
Wenige Stunden später brachen die zwei Ordensbrüder im Gefolge der Gräfin von Montfort auf. Ihr Sohn hatte vom ersten Augenblick an keinen Zweifel daran gelassen, dass er seinen neuen Lehrer verachtete. Während der ganzen Reise hielt er sich trotzig abseits, sprach kaum ein Wort und reagierte auf keinen Anruf.
„Er war nicht immer so", wandte sich Ghislaine entschuldigend an Jocelin. “Aber seit sein Vater tot ist - o Gott, manchmal habe ich Angst, er wird noch einmal am Galgen enden!”
„Nein, das wird er gewiss nicht, Madame. Ihr werdet sehen, bald könnt Ihr stolz auf Euren Sohn sein", entgegnete Jocelin zuversichtlich. Er wusste, wie man Disziplin lernte - und lehrte.
Der Stein der Burg leuchtet warm in den letzten Sonnenstrahlen, als der gräfliche Hofstaat eintraf. In einer fast anmutigen Bewegung schlängelte sich die Mauer der weiträumigen Anlage den Hügel empor. Das gotische Dach der Kapelle, auf dem höchsten Punkt erbaut, ragte über die Wehrtürme und das Palais hinaus, schien mit seinem goldenen Kreuz den Himmel zu berühren.
„Das himmlische Jerusalem!“
Ghislaine lächelte und legte die Hand auf seinen Arm. „Ihr werdet La Blanche sicher ebenso lieb gewinnen wie ich, wenn Ihr erst eine Weile hier seid, Sire!“
„Ich hoffe nicht.“ dachte er unwillkürlich. Das hier war nicht sein Platz, so verlockend er im Augenblick auch schien.
Anstatt zu den Lektionen zu erscheinen, verschwand Yvo schon am frühen Morgen des folgenden Tages aus der Burg. Am Abend brachte ihn der Kastellan der Stadt zurück. Er war mit einer Horde Straßenjungen beim Stehlen erwischt worden. Auch am nächsten Tag trieb er sich irgendwo herum und kam erst in der Dämmerung zurück. Sich völlig sicher und unangreifbar fühlend wollte er grinsend an Jocelin vorüber. Doch der Ordensbruder war keiner der Dienstleute seiner Mutter, die nicht gewagt hatten, ihren Herrn zu züchtigen. Er packte Yvo am Kragen und schleppte ihn zum Pranger.
„Was erlaubst du dir, du Lumpenbündel? Ich bin ein Adliger, du kannst mich nicht bestrafen wie einen gemeinen Bauern!“
„Ich kann hier keinen Adligen sehen“, entgegnete Jocelin ruhig. „Ich sehe nur einen Dieb. Und die Strafe für Diebe sind zwölf Stockhiebe.“
Yvo schlug um sich und schrie, nun schon mehr
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