Die Tränen des Herren (German Edition)
erregt. Sie umklammerte das Kreuz um ihren Hals und ihre Lippen begannen ein lautloses Gebet zu formen...
Schon bald erreichte Jocelin das Wegkreuz, das die Abzweigung der alten Straße nach Poitiers markierte. Hier war er letzte Nacht abgebogen. Plötzlich bewegte sich der dunkle Schatten am Stamm des Kreuzes, und der Ordensbruder erkannte einen Mann im Gewand der Aussätzigen.
„Helft mir! Ach, helft mir doch!“ krächzte er.
Jocelin stieg aus dem Sattel, trat auf ihn zu.
„Ah, Sire, helft mir!“ Der Mann streckte ihm seinen verbundenen Arm entgegen. Als der Templer sich zu ihm beugte, schnellte er nach vorn. Blitzschnell hatte er den Hals des Ordensbruders umklammert. Jocelin versuchte sich von ihm zu befreien, da stieß ihm ein zweiter Mann das Knie in den Rücken. Ein harter Griff riss seine Arme nach hinten. In unerreichbarer Ferne klirrte sein Schwert auf den Stein. Lederriemen schnürten seine Handgelenke zusammen. Dann lockerte sich der Griff um Jocelins Hals. Er wurde gepackt und auf die Füße gezogen. Seine Augen tasteten sich über ein Paar schwarzer Stiefel und einen roten Mantel zu einem lächelnden Raubvogelgesicht.
„Floyran!!!“
„Es freut mich, dass Ihr meiner Einladung gefolgt seid, beau frère!”
Er holte aus und schlug ihm ins Gesicht.
„Wenn er zu fliehen versucht, gebt ihm eins über den Kopf!” wandte er sich an seine Männer. Aber seid vorsichtig, vergesst nicht, dass der Inquisitor auch noch seinen Spaß mit ihm haben will!“
Hilflos musste Jocelin mit ansehen, wie Esquieu de Floyran sein Schwert aufhob, sich auf den Rücken seines Pferdes schwang und sich Richtung La Blanche in Galopp setzte.
Selbstsicher ritt er kurz darauf in den Burghof, stieß den Knecht nieder, der ihn aufhalten wollte und schritt ins Palais hinauf.
Die Zofe sah empört von ihrer Näharbeit auf, als er in Ghislaines Gemach marschierte.
„Was erlaubt Ihr Euch?!“ rief die Gräfin zornig und sprang auf.
„Schickt das Weib raus!” fuhr er sie lediglich an und deutete auf die Zofe.
Ghislaine nickte ihr zu. „Geh, Jeanette!”
Floyran schlug die Tür hinter ihr zu und lehnte sich mit dem Rücken dagegen.
„So, und jetzt werdet Ihr mich anhören, Madame, wenn Euch etwas an Eurem kleinen Templer liegt!“ Er warf ihr das Schwert vor die Füße und sie erkannte Jocelins Waffe.
“Was habt Ihr mit ihm gemacht?“
„Noch ist ihm nichts geschehen, Madame Ghislaine. Es liegt an Euch, ob ich ihn der Inquisition ausliefere!“
„Wo ist er jetzt?“
„Bei meinen Männern am Wegkreuz.“
Ihr war, als hörte sie eine Fremde sprechen: “Wie viel Gold wollt Ihr?“
„Gold?“ Esquieu lachte. „Ich will Euch!“
„Ihr seid ja verrückt! König Philipp würde einer solchen Verbindung niemals zustimmen!“
„O doch, das wird er…“ erwiderte er in Gedanken. „Wenn ich ihm den Anführer der flüchtigen Templer präsentiere. Erst werde ich zusehen, wie sie ihn langsam über dem Feuer rösten… und dann werde ich mich mit dir vergnügen…“
„Woher weiß ich, dass ich Euch vertrauen kann? Das... Sire Jocelin überhaupt noch am Leben ist?“
Esqieu de Floyran ließ seine Hand über Ghislaines Nacken gleiten. „Ich bin ein Edelmann. Ihr habt mein Wort. Sobald Ihr meine Frau seid, schenke ich dem Templer seine erbärmliche Freiheit. Aber überlegt nicht zu lang. Meine Männer könnten sonst den Drang verspüren, ihre Pflicht gegenüber der Kirche zu tun. Und in diesem Fall werdet Ihr den Templer nie wiedersehen. - Jetzt lasst mir etwas Wein bringen. Das Warten auf dem Weg hat mich sehr durstig gemacht!” Er ließ sich auf einer Bank nieder und zog seine Handschuhe aus. „Ach ja, und Ihr könntet schon mal nach einem Geistlichen schicken…“
Ghislaine kämpfte gegen ihr Zittern an, während sie Esquieu de Floyrans Weinpokal nachfüllte.
„Ihr seid eine vorzügliche Gastgeberin, Madame. Wir werden einen glänzenden Hof halten in Paris!“
Sie wich seinen glühenden schwarzen Augen aus. Noch nie waren ihr die Fabelwesen auf den Gobelins ringsum so bedrohlich erschienen. Krallenbewehrte Pranken, gefletschte Zähne, selbst die Blumenranken bildeten ein Gewirr von Dornen. Die Wandteppiche erzählten die Geschichte der Gralssucher. Eine Prinzessin war zu sehen, die mit ängstlich erhobenen Händen den Kampf zweier Ritter beobachtete. Einen von ihnen hatte der Künstler schwarz dargestellt, den anderen weiß.
Ghislaine musste an Jocelins Ritt in das Turnier denken. Ihre Hände
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