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Die Tränen des Herren (German Edition)

Die Tränen des Herren (German Edition)

Titel: Die Tränen des Herren (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Napp
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sackte er vor ihr zusammen. Ghislaine wich zurück, geschockt. Erst jetzt begriff sie wirklich, was sie getan hatte. Mit einiger Mühe drehte sie den Kopf zu Jocelin, Halt und Hoffnung suchend und trotzdem halb Abscheu in seinen Zügen erwartend.
    Einer der Brüder war gerade dabei, ihn los zu binden. Kaum war er frei, eilte er zu ihr. Als Ghislaine seine Hände auf den Schultern fühlte, hatte sie plötzlich keine Kraft mehr, sich aufrecht zu halten. Alles drehte sich um sie.
    „Ghislaine… Ghislaine, was hat er Euch angetan?!” Jocelin grub die Hände in ihr windzerzaustes Haar und starrte auf den zusammen gekrümmten Leichnam Floyrans.
    „Wichtig ist…“ flüsterte sie heiser, um ihre Fassung kämpfend, “wichtig ist nur, dass Ihr lebt … in Freiheit seid, …und die Welt von diesem Teufel befreit...”
    Sie löste sich von Jocelin und wandte sich an die anderen Ordensbrüder. “Wo ist mein Sohn?“
    „Hinten bei unseren Pferden.” entgegnete Bruder Jean.
    „Yvo?” fragte Jocelin erstaunt. „Yvo ist hier?”
    „Er war es, der Eure Brüder geholt hat.”
    Großer Gott! Jetzt hatte er auch den Jungen mit hineingezogen! Und Ghislaine war  um seinetwillen zur Mörderin geworden! Er wusste mit einem Mal nicht mehr, ob er Floyran oder sich selbst mehr hasste.
    Jean de Saint-Florent berührte seinen Arm, und er schrak zusammen. „Wir sollten sehen, dass wir hier fortkommen! Wer weiß, ob Floyrans Männer nicht mit Verstärkung auftauchen!“
    „Ja. Ihr habt recht!“
    Eine knappe halbe Stunde später sahen sie wieder die weißen Mauern von La Blanche durch die Bäume schimmern.  Wie unschuldig... Das ‚Himmlische Jerusalem‘...
    Jocelin wies seine Ordensbrüder an, im Schutz des Waldes zu warten, bis er mit Arnaud zurückkehrte. Diesmal wollte er offen in die Burg einreiten. Kannten ihn nicht die Meisten von Ghislaines Dienstleuten noch als den Ritter aus Outremer, Lehrer des jungen Grafen? Es würde nichts besonderes sein, ihn jetzt wieder an Yvos Seite zu sehen...
    Zunächst achtete in der Tat niemand von den Dienstleuten auf sie. Doch auf einmal klang ein Ruf, alle anderen Stimmen übertönend: „Dort ist der Templer!“
    Und dutzende Augenpaare folgten einem ausgestreckten Arm und blieben an Jocelin haften.
    „Wer hat dir das gesagt?“ fuhr Ghislaine den Sprecher an, ehe die plötzliche Stille zu einem verräterischen Schweigen wurde. Über ihr eben noch blasses Gesicht hatte sich zornige Röte gebreitet.
    „Sire Esquieu de Floyran, der Bote seiner Majestät!“ Der Mann stemmte die Arme in die Hüften. Wenn Floyran ihn nicht bezahlen wollte, würde er eben auf eigene Weise für seine Belohnung sorgen! Der Bischof, der Papst, vor allem aber König Philipp boten gewiss reichlich Gold für jenen Mann auf dem Pferd neben der Gräfin!
    „Sire Esquieu war kein königlicher Bote!“ entgegnete Ghislaine, hoffend, dass ihre Worte fest genug klangen, obwohl sie am ganzen Körper zitterte. „Und Sire Jocelin ist kein Templer! Wie kommst du nur auf solch einen haarsträubenden Unsinn?! Du solltest nicht mehr so lange im Wirtshaus hocken!“ Gedämpftes Kichern kam von irgendwo aus ihren Leuten.
    „Genug jetzt! Macht euch wieder an die Arbeit! Los, Schluss mit dem Maulaffen feilhalten!“
    Gefolgt von Jocelin und Yvo schritt Ghislaine die Treppe zum Palais hinauf. In ihren Gemächern angelangt lehnte sie sich mit einem erleichterten Seufzer gegen die Wand. Mit einiger Mühe widerstand sie dem Drang, ihrer Erschöpfung nachzugeben und sich einfach auf die Fensterbank fallen zu lassen.  Heilige Muttergottes, was hatte sie getan?! Nein, nicht darüber nachdenken, befahl sie sich. Nicht jetzt! Es gab noch so vieles zu erledigen! Ihr Blick streifte Yvo. Der Junge durfte nie davon erfahren, nie!
    „Yvo?“
    „Ja, Mutter?“
    „Geh‘ hinunter und sage dem Küchenmeister, er solle das Nachtmahl herrichten. Und wenn dich jemand nach Sire Jocelin fragt, erzähle, dass er mir nur einen Brief von Erzbischof Gregor von Rouen gebracht hat, und heute noch weiter reitet!“
    Yvo nickte hastig und wollte zur Tür, aber Jocelin hielt ihn zurück. „Was du heute getan hast, davor wären viele Männer zurückgeschreckt. Ich danke dir, und ich werde es dir nie vergessen. Aber du darfst keinem von dem erzählen, was du gesehen hast, was hier geschehen ist! Nicht einmal deinem besten Freund. Niemandem, verstehst du?”
    Yvos Traum von langen Heldenerzählungen vor seinen Freunden schmolz dahin. „Ich kann

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