Die Tränen des Herren (German Edition)
den Mund, Bürschchen!“ Nach dem Zusammenstoß mit den königlichen Söldnern gestern war man in allerhöchster Alarmbereitschaft.
„Laufen lassen ist zu gefährlich, er könnte uns verraten“, meinte einer der Brüder und betrachtete den Jungen argwöhnisch.
„Ich habe das Schwert! Das Schwert von Sire Jocelin!“ rief Yvo jetzt und streckte mit beiden Händen die Waffe nach vorn. „Meine Mutter schickt mich, von La Blanche!“
Jean de Saint-Florent nahm die Waffe entgegen. Das war Jocelins Klinge ... oder, zumindest ein Schwert des Ordens, wie das eingravierte Signum deutlich machte.
„Von La Blanche… soso.”
„Mutter sagt, man habe ihn in einen Hinterhalt gelockt! Ich sollte zu Euch reiten und Hilfe holen! Wieso glaubt Ihr mir nicht?!“
„Wenn er die Wahrheit sagt…sollten wir uns beeilen“, murmelte Ranulf.
„Und wenn er lügt?“
Jean gebot den Stimmen mit einer Handbewegung Einhalt. Seine Entscheidung war gefallen. „Wenn wir nicht riskieren wollen, dass Sire Jocelin im Kerker des Königs landet – und das will ICH nicht, beim Blut Christi! – sollten wir uns schleunigst auf den Weg machen! Wer Angst hat, kann sich hier verkriechen, wer mich begleiten will – holt eure Waffen!“
Näher und näher rückte das steinerne Wegkreuz. Floyran lächelte stolz und siegessicher. Ghislaine zog unwillkürlich die Zügel an. Sie fühlte sich erschöpft, gedemütigt, beschmutzt.
Nun vermochte sie bereits die verwitterte Christusgestalt auf dem Kreuz zu erkennen. Ihr stummes Gebet war ein verzweifelter Aufschrei, den Floyrans Stimme durchbohrte wie ein Schwert.
„Folgt mir, Madame Ghislaine! Ihr sollt sehen, dass ich Euch nicht belogen habe!” Er lenkte sein Pferd in den Wald und schob das Gestrüpp auseinander.
Ihr Blick fiel auf Jocelin. Er hing einige Fußbreit über dem Boden an einem Ast, geknebelt und gefesselt. Als er sie gewahrte, spannte sich sein Körper im vergeblichen Versuch, sich zu befreien.
„Floyran, Lasst ihn herunter!“
„Aber das wäre doch sehr unklug von mir, Madame, ihm jetzt Gelegenheit zur Flucht zu geben! Ihr könntet es Euch noch anders überlegen... Wenn der Priester den Segen über uns gesprochen hat, schicke ich einen meiner Leute. - Nur keine Angst, Madame, er wird es schon überleben! Die Templer sind zähe Burschen!“
Er weidete sich an dem Schmerz und der Angst der beiden Menschen in seiner Gewalt. Sein Genuss bahnte sich in einem Grinsen den Weg nach draußen.
„Nun, edler Bruder,” begann er langsam, dabei um Jocelin herum wandernd. “Ihr seht, wohin die niedrigen Begierden führen... Aber - Euer Geschmack war nicht schlecht, das gebe ich zu.” Seine Augen glitten über Ghislaine und dann wieder zurück zu seinem Gefangenen. „Die Sarazenen würden ein Vermögen zahlen für diesen Leib... ah, und so willig… Ich könnte Euch in allen Einzelheiten...“
Floyrans Rede endete in einem schrillen Kreischen.
Zwischen seinen Fußspitzen federte ein Pfeil in der Erde. Er stolperte zurück, riss das Schwert aus der Scheide. Sein hastiger Blick umfasste ein halbes Dutzend Männer, die aus dem Unterholz traten. Er fuhr herum, sah gerade noch, wie seine beiden Söldner sich davonmachten. „Ihr feigen Schweine!“ brüllte er, außer sich vor Wut, die in nackte Angst umschlug.
„Weg mit dem Schwert!“ forderte eine Stimme. Vom Gesicht des Sprechers waren nur die dunklen Augen zu erkennen.
Esquieu schleuderte ihm die Waffe vor die Füße. Noch in der Bewegung nahm er die Gräfin wahr, die Jocelin zu erreichen suchte. Seinen Dolch packen und sie an sich reißen waren eins. Ghislaine schrie auf, als sie die Klinge an ihrer Kehle spürte.
„Nun sieht es etwas anders aus, nicht wahr?“ Floyran lachte krampfhaft. „Macht bloß eine Bewegung und sie ist tot!“
Die Frau eng an seine Seite gepresst, zog er sich Schritt für Schritt zu seinem Pferd zurück.
Jocelins und Ghislaines Blick kreuzten sich, ein Moment voller Qual und Schmerz, der sich wie ein glühendes Brandeisen in sie senkte. Ihre zitternde rechte Hand fühlte den Silberbeschlag des Dolches an ihrem Gürtel.
Floyran schob sie gegen den Sattel. „Hoch mit dir, du Schlampe!“
In dieser Sekunde handelte Ghislaine, ohne noch zu denken. Sie umklammerte die zierliche Waffe, ihr Arm fuhr herum und sie stieß zu. Floyrans Augen weiteten sich in ungläubigem Entsetzen. Er öffnete den Mund, aber statt Worte quoll nur Blut über seine Lippen. Sein Griff lockerte sich, und einen Moment später
Weitere Kostenlose Bücher