Die Tränen des Herren (German Edition)
umklammerten den Fuß der Weinkaraffe. Sie kannte den Ausgang des Streites auf dem Gobelin. Der weiße Kämpfer siegte, weil ihm die anderen Gralsritter zu Hilfe kamen.
Die anderen Gralsritter? Die Templer von Fontainebleau!
„Sire Floyran, erlaubt Ihr, dass ich mich für einen Augenblick entferne?” fragte sie, bemüht, ihrer Stimme einen leichten Klang zu geben.
„Ja. Aber versucht keine Finte! Denkt immer an Euren kleinen Templer draußen am Wegkreuz!”
Ghislaine rannte zur Kammer ihrer Zofe.
„Ist Yvo schon von der Jagd zurück, Jeanette?”
„Ja - Madame, was -”
„Ich habe keine Zeit, es dir zu erklären! Lauf’ und hol’ Yvo!”
Ein paar Minuten später stand ihr Sohn vor ihr, barfuss und mit halb offenem Hemd, weil er sich gerade hatte waschen wollen. „Was ist los?“
„Yvo, hör mir zu! Mein Junge...“ Himmel, wo sollte sie anfangen?! Es blieb so wenig Zeit!
„Mutter? Was ist passiert?“
„Es geht um... um Sire Jocelin. Er braucht unsere Hilfe, deine Hilfe...“
„Sire Jocelin?“ Yvo verzog das Gesicht. Er hatte es seinem Lehrmeister immer noch nicht verziehen, dass dieser ganz einfach bei Nacht und Nebel verschwunden war. „Warum sollte der MEINE Hilfe brauchen? Für ihn war ich doch nur ein Faulpelz und Nichtskönner!“
Ghislaine fasste ihren Sohn an den Schultern und blickte ihn verzweifelt, beschwörend an. „Du bist beinahe erwachsen, Yvo. Ich werde dir etwas sehr wichtiges sagen. Etwas, was du nicht weitererzählen darfst, um unser aller Leben willen nicht! Versprichst du mir das und wirst du mir helfen?“
Jetzt nickte der Junge, bemerkend, dass es wohl wirklich um eine große Sache ging.
„Gut. Du weißt, dass die Templer im Königreich verhaftet wurden, nicht wahr?“
„Ja, natürlich! Wegen -“
„Hör mir zu, Yvo! Bitte!“ Sie zog ihren Sohn nahe zu sich, so dass kein eventueller Lauscher an der Tür ihre hastig geflüsterten Worte verstehen konnte...
Es hat sehr lang gedauert, Madame Ghislaine“, Das einfallende Sonnenlicht spaltete Floyrans Gestalt, während er durch den Saal spazierte.
War da ein Hauch von Misstrauen in seiner Stimme? Bei Gott, wenn er jetzt aus dem Fenster blickte, würde er Yvo mit Jocelins Schwert durch das Burgtor galoppierten sehen!
Er nahm ihr Gesicht in die Hände und kam ihr ganz nah.
„Ihr seid die schönste Frau, die ich je gesehen habe. Es war eine Schande, Euch jahrelang in diese schwarzen Gewänder einzuschließen. Damit ist jetzt Schluss!” Er löste den schwarzen Schleier und schob ihre Haube zurück.
In den Falten des Kleides ballte Ghislaine die Hände zur Faust. Ihr Herz schlug zum Zerspringen. Aber sie musste ihn so lange wie möglich auf La Blanche festhalten! So lange wie möglich! Darum ertrug sie seine gierigen Finger, als sie die Verschnürung ihres Kleides aufrissen. Sie schrie nicht, als er sie niederdrückte und sich über sie warf.
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„Er ist ein Rekonziliarisierter! Ich denke nicht daran, mit ihm aus einer Schüssel zu essen!” schrie Bruder Raimond und funkelte den ihm gegenübersitzenden Ordensbruder, einer der damals aus Provins Geretteten zornig an. „Er ist ein verdammter Verräter! Es ist schlimm genug, dass er und seinesgleichen hier mit uns leben müssen!”
„Ihr habt kein recht, so mit Euren Brüdern zu sprechen!” rief Jean de Saint-Florent.
„Gott weiß, wie sie uns gezwungen haben, zu gestehen!” verteidigte sich Kaplan Helias. „Ich lag Wochen in einem Graben, an Händen und Füßen gefesselt!”
„Andere von uns hat man auch gefoltert, und sie haben trotzdem nicht gestanden! Ich war auch im Kerker! Trotzdem habe ich den Orden nicht erfundener Verbrechen angeklagt!”
„Ihr seid auch eher befreit worden!”
„Willst du nun auch noch Komtur Jocelin die Schuld an deiner Feigheit geben, Verräter?!” Raimond war aufgesprungen. Er packte den zurückweichenden Ordensbruder am Gewand, ließ ihn aber dann mit einem knurrenden Geräusch los.
Jean runzelte die Stirn. Der junge Mann hatte eine Disziplinierung bitter nötig... Es war nicht das erste Mal, dass es Streit gab, und Raimond war immer vorne an.
Plötzlich verbreitete sich Aufregung im Schlupfwinkel der Ordensbrüder. Einer der Späher, die im Wald patrouillierten, war zurück - und nicht allein! Er hielt das Reittier eines verunsichert blickenden Jungen am Zügel.
„Er schlich draußen herum. Er sagt, er sei Yvo de Montfort und wolle zu den Templern. Was machen wir mit ihm?“
„Ich will -“
„Du hälst
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