Die Tränen des Herren (German Edition)
dass wir über ihren Köpfen tanzen, nicht wahr?”
Ghislaine verwechselte die Schritte. Plötzlich war ihr Floyran ganz nah.
„Keine Angst, Euer Geliebter ist nicht darunter,” wisperte er ihr ins Ohr.
Angewidert stieß sie ihn zurück.
„NOCH nicht,” fügte Floyran maliziös hinzu, verbeugte sich und übernahm die nächste Partnerin.
Nach Mitternacht zerstreuten sich die Gäste in Hof und Garten. Ghislaine beeilte sich, in ihr Gemach zu kommen, denn sie fürchtete die Nachstellungen Esquieu de Floyrans. Erst als sie die Tür hinter sich verriegelt hatte, fühlte sie sich in Sicherheit. Müde öffnete sie das Fenster und beugte sich in die frische Nachtluft hinaus. In einiger Entfernung floss die Seine. Schwankende Lichter kündeten von vereinzelten Booten.
„In zwei Tagen bin ich wieder auf La Blanche“, sagte Ghislaine sich. „Gott sei Dank.“
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Der Rückweg der Schar Brüder von Tours war ohne Zwischenfälle verlaufen. Bis jetzt. Plötzlich waren die königlichen Söldner aufgetaucht und hatten die Templer in ein heftiges Handgemenge verwickelt. Waren sie verraten worden oder war es ein böser Zufall? Es blieb ihnen keine Zeit, darüber zu rätseln.
Jocelin schlug seinem Pferd die Sporen in die Seite und holte zu Jean de Saint-Florent auf.
„Wir müssen uns teilen!“ rief er ihm zu. „Nehmt den Weg über Baugy!”
Zunächst hatten die Templer den Eindruck, das Manöver gelinge. Jean schwenkte mit einer Gruppe hinter der Wegbiegung ab, und die königlichen Ritter hefteten sich an seine Fersen. Einige Söldner preschten Jocelins Gefährten nach. Die Kluft zwischen ihnen und den Ordensbrüdern wuchs rasch. Plötzlich aber klangen die Pferdehufe wieder ganz nah, der Feind hatte ihnen den Weg abgeschnitten! Jocelin sah den Kommandanten und zwei Söldner vor sich über die Hecke setzen. Armbrüste klackten. Schon surrten die ersten Pfeile. Und einen Augenblick später sank Bruder Arnaud getroffen zusammen. Tot oder nur verletzt?!
„In den Wald!“ schrie Jocelin.
Dicht gefolgt von den Söldnern trieben die Templer ihre Pferde ins Unterholz. Zweige schlugen den Flüchtenden ins Gesicht, Dornenranken zerfetzten ihre Gewänder. Irgendwann schluckte das Dickicht die Stimmen der Verfolger. An einem kleinen Bach verhielten die Ordensbrüder. Ihre Pferde zitterten vor Erschöpfung, und ihnen selbst ging es nicht anders. Jocelin schob die Kapuze seines Kettenhemdes zurück und strich durch die schweißverklebten Haare.
Sie haben unsere Spur verloren“, hörte er Louis sagen und schüttelte müde den Kopf. „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie uns haben.“ Er half, Arnaud aus dem Sattel zu heben. Vorsichtig betteten ihn die Brüder auf den Waldboden. Der alte Ordensbruder war am Leben, aber die Verwundung konnte gefährlich werden. Der Pfeil war oberhalb der Rippen in den Rücken gedrungen. Arnaud bewegte die Lippen, aber nur ein schwaches „Jocelin?“ war zu verstehen.
„Ich bin hier. Haltet durch!“
„Jocelin... wenn ich ... sterbe...“
„Ihr dürft Euch nicht zu sehr anstrengen! Ruht Euch aus! Zu sprechen werden wir später noch Zeit haben!“
„Nein... Jocelin... du musst etwas... wissen...“ Aber er hatte keine Kraft mehr, weiter zu sprechen. Sein Kopf sank zur Seite.
„Wie steht es um ihn?“
„Nicht gut“, antwortete Jocelin, den Blick von der Verwundung seines Pflegevaters lösend und zu Louis aufblickend „Aber hier kann ich nichts für ihn tun.“
„Dann los nach Fontainebleau! Ehe die ganze Gegend voll von den Leuten des Königs ist!“
„Unmöglich. So weit kann er nicht mehr reiten! Ich warte bis Einbruch der Nacht, dann bringe ich ihn nach La Blanche, das ist der nächste Weg.“ An den Mienen der anderen sah er, dass sie diese Entscheidung nicht gerade befürworteten, aber er würgte jeden Einspruch mit einem kategorischen “Louis, Ihr reitet mit den anderen nach Fontainebleau! SOFORT!” ab.
Es war zur zweiten Nachtwache, als Jocelin auf La Blanche zuhielt, seinen bewusstlosen Pflegevater vor sich im Sattel. „Wer da?“ schrie ihm der Wächter über die Zinnen zu.
„Zwei arme Pilger. Wir haben keinen Platz mehr in der Herberge gefunden.“
Der Wächter runzelte die Stirn. Die Straßen waren voll von falschen Pilgern, die einem mitleidigen Wirt die Kehle durchschnitten! Und die beiden Gestalten in ihren schäbigen Umhängen machten keinen Vertrauen erweckenden Eindruck.
„He, ihr da, wartet!“ rief er hinab, dann trat er in den Turm
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